Russland: Zwei Jahre Knast für eine Kinderzeichnung

Die beschauliche Kleinstadt Jefremow im Gebiet Tula, knapp drei Autostunden südlich von Moskau, ist nun in ganz Russland bekannt. Das gilt vor allem für die Schule Nr. 9 von Jefremow und noch genauer für die Schülerin der Klasse 6b, Maria “Mascha” Moskalewa. Ihre Geschichte geht gerade durch das Land und steht für die ganze Härte des Gesetzes über die so genannte Diskreditierung der russischen Armee.

Die Geschichte ereignete sich in jener Schule Nr. 9 vor fast einem Jahr. Im April 2022 sollen Mascha und ihre Mitschüler im Malunterricht ein Bild zur Unterstützung russischer Streitkräfte in der Ukraine anfertigen. Mascha zeichnet jedoch zwei Flaggen, eine russische mit der Aufschrift “Nein zum Krieg” und eine ukrainische mit dem Spruch “Ruhm der Ukraine”. Zwischen den Flaggen steht eine Frau mit einem Kind, russische Raketen fliegen auf die beiden.

Die Schulleitung reagiert

Die Reaktion der Schulleitung erfolgt prompt. Am nächsten Tag wird Maschas alleinerziehender Vater Alexej Moskalew vorgeladen. Die beiden werden von der Polizei und dem Jugendamt zu einem Verhör aufs Revier abgeführt. Moskalew muss sich vorwerfen lassen, seine Tochter falsch erzogen zu haben. Zudem finden die Behörden in seinen sozialen Medien armeekritische Kommentare und stellen ihm eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet knapp fünfhundert Euro für die sogenannte “Diskreditierung der russischen Armee” aus.

Verhört werden Mascha und ihr Vater auch vom Geheimdienst FSB. Von diesem Tag an weigert sich das Mädchen, die Schule zu besuchen. Und zwar aus Angst, wie ihr Vater später dem unabhängigen russischen Portal OVD-Info erzählt.

Hausdurchsuchung

Kurz vor Silvester bekommen die Moskalews erneuten Besuch von der Polizei. “Es war am 30. Dezember, morgens um halb sieben”, erinnert sich Alexej bei OVD-Info. “Ich wollte gerade zur Arbeit, schaute aus dem Fenster und staunte: ums Haus herum standen drei Polizeiwagen, zwei weitere waren hinten postiert, außerdem ein Fahrzeug vom Katastrophenschutz. Etwa zwölf Männer vom FSB und von der Polizei gingen direkt auf unseren Hauseingang los, in den Händen eine Flex. Mir wurde sofort klar, dass sie zu uns kamen.”

Maschas Vater Alexej Moskalew bei seinem Prozess in Jefremow

Maschas Vater Alexej Moskalew bei seinem Prozess in Jefremow

Die Beamten seien bei der Hausdurchsuchung nicht zimperlich gewesen, erzählt Moskalew. Sie hätten Kleider aus den Schränken gezerrt, Bilder von den Wänden gerissen und Möbel umgeworfen. Dabei sollen auch Familienersparnisse in Höhe von 3150 Dollar konfisziert worden sein, die sofort das Misstrauen der Beamten erregten: “Wer zahlt dir? Für wen arbeitest du?” Moskalew sei schließlich mit dem Kopf gegen die Wand und den Boden geschlagen worden.

Vom Versuch, unterzutauchen

Danach beschließen Vater und Kind, sich in einer Nachbarstadt zu verstecken. Am 1. März werden sie schließlich von der Polizei entdeckt. Alexej Moskalew wird verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Nun droht ihm ein Strafverfahren wegen “wiederholter Diskreditierung der russischen Armee”. Angeblich ist er für weitere armeekritische Posts verantwortlich. Moskalew weist jede Schuld von sich, behauptet, sein Account müsse gehackt worden sein.

Die Behörden leiten zudem ein Verfahren zur Enthebung des Erziehungsrechts für seine Tochter Mascha ein. Sie darf nicht mehr zu Hause wohnen, wird ins Heim gebracht. Am 27. März tagt das Gericht nur einen einzigen Tag lang und entscheidet: zwei Jahre Strafkolonie für den alleinerziehenden Vater.

Auf der Flucht

Tags darauf wird das Urteil in Abwesenheit von Alexej Moskalew verkündet. Denn in der Nacht zuvor, so das Gericht, ist der Delinquent geflohen. Olga Podolskaja, Abgeordnete des Stadtparlaments von Jefremow, spricht von einem Schock. “Eine reale Gefängnisstrafe für eine Meinung im Netz, das ist einfach nur schrecklich!”, sagt sie der Deutschen Welle.

Noch mehr als das Schicksal von Alexej Moskalew beunruhigt sie aber das Schicksal seiner Tochter. Sie habe mehrmals versucht, Mascha Moskalewa zu erreichen. Seit Wochen aber fehle von dem Mädchen jede Spur. Immerhin weiß die Abgeordnete Podolskaja von einem Brief, den Mascha noch schreiben durfte, und der mit den Worten endet: “Papa, du bist mein Held!”