Nick Kyrgios vor den Australian Open: der missverstandene Hoffnungsträger

Die Fronten zwischen dem australischen Tennisprofi Nick Kyrgios und Teilen der Medienlandschaft sind weiterhin verhärtet. Wann immer der 27-Jährige öffentlich spricht, herrscht eine besonders angespannte Atmosphäre in der Umgebung. Niemand der Anwesenden weiß, wie sich Kyrgios präsentieren und ob es eine Provokation von einer der beiden Seiten geben wird. Am Donnerstag nach einer Trainingseinheit auf dem Centre Court der am Montag beginnenden Australian Open in Melbourne war es allerdings sein bester Freund und inoffizieller Manager, Daniel Horsfall, der mit einem Klaps auf das eigene Hinterteil und in Blickrichtung der wartenden Medienvertreterinnen und Vertreter provozierte und damit wohlmöglich andeuten wollte: “Ihr könnt uns mal, wartet schön auf uns.”

Die anschließende und mit leichter Verspätung beginnende Medienrunde am Rande des Trainingsplatzes war dann aber entspannt und zwar für beiden Seiten. Kyrgios wirkte aufgeräumt, geduldig und zielstrebig. Hängengeblieben war aber auch die Geste seines Teammitglieds wenige Minuten zuvor.

Die Wahrnehmung des Tennisprofis in Australien ist nach einem erfolgreichen Tennisjahr 2022 deutlich positiver geworden. Denn im vergangenen Jahr erreichter er das Wimbledonfinale gegen Novak Djokovic und die Runde der letzten acht bei den US Open. In Melbourne gewann er zudem mit Jugendfreund Thanasi Kokkinakis die Doppelkonkurrenz. Besonders in seiner Heimat stehen seine Leistungen und das Verhalten in der Öffentlichkeit unter besonderer Beobachtung. Kyrgios galt bis zuletzt als ‘Enfant terrible’ des Tennissports.

Durchbruch gegen Rafael Nadal

Als Teenager gelang ihm 2014 mit einem Sieg über Rafael Nadal in Wimbledon der Durchbruch. Ein Jahr zuvor hatte er mit dem Gewinn der Junioren-Konkurrenz in Melbourne bereits hohe Erwartungen in seiner Heimat wecken können. Seine Leistungskurve ging in der Folge weiter nach oben. So verlor Kyrgios 2015 bei den Australian Open erst im Viertelfinale gegen Andy Murray. Auch in den folgenden zwei Jahren entwickelte Kyrgios sich weiter. Er gewann drei Turniere und stieg bis auf Rang 13 der Tennis-Weltrangliste.

Doch dann geriet seine Karriere ins Stocken und der Tennisprofi produzierte vermehrt Negativschlagzeilen wegen seines Verhaltens auf den Plätzen dieser Welt. Vor allem in Australien verloren die Fans irgendwann die Geduld mit ihrem Hoffnungsträger. Kyrgios, gebürtig aus der Hauptstadt Canberra, sah sich als Sohn eines griechischen Vaters und einer aus Malaysia stammenden Mutter mit jeder Menge Vorwürfe konfrontiert – die Vorurteile stiegen mit den Negativschlagzeilen. Kyrgios sei arrogant, habe keine Manieren und sei nicht bereit hart an sich zu arbeiten.

Kyrgios: “Das geriet außer Kontrolle”

Während der Coronavirus-Pandemie spielte er kaum, berichtete über Depressionen und sprach über Alkoholmissbrauch. “Ich habe das wirkliche Leben ausgeblendet und versucht, meine Probleme direkt anzugehen und zu lösen”, sagte Kyrgios dem TV-Sender Eurosport im Mai 2022 und erklärte: “Ich habe viel Alkohol und Drogen konsumiert und das geriet außer Kontrolle. Jetzt trinke ich kaum noch – höchstens mal ein Glas Wein zum Abendessen.”

Nick Kyrgios sitzt auf dem Boden eines Tennisplatzes

Nick Kyrgios erhebt Rassismus-Vorwürfe gegen Zuschauer beim ATP-Turnier in Stuttgart

Zudem berichtete der Australier immer wieder von Rassismus-Vorfällen in den sozialen Medien sowie beim ATP-Turnier in Stuttgart im Juni des vergangenen Jahres. “Eine Sache, die ich niemals tolerieren werde, sind Zuschauer, die Athleten beschimpfen. Es passiert mir persönlich schon seit einiger Zeit, von rassistischen Kommentaren bis hin zu völliger Respektlosigkeit”, schrieb der 27-Jährige damals auf seiner Instagram-Seite. Die Veranstalter des Turniers entschuldigten sich anschließend in einer Pressemitteilung. Genauso wie die australische ABC-Moderatorin Lisa Milar, die öffentlich gesagt hatte, Kyrgios müsse rassistische Kommentare wegstecken können.

Beschimpfungen gegen Schiedsrichter

Der Tennisprofi hat sich verändert. Er spielt keine volle Tennissaison mehr, ist spielerisch aber wieder mindestens auf dem Level von 2015. Tritt er öffentlich auf, ist er mittlerweile vermehrt respektvoll, fokussiert und stärkt ein positiveres Bild in der Öffentlichkeit. Zeitgleich zu den verbesserten sportlichen Auftritten hat er aber weiter schlimme Auseinandersetzungen mit Schiedsrichtern.

So ging er eine Linienrichterin und den Oberschiedsrichter beim Turnier in Wimbledon im vergangenen Jahr verbal an und zweifelte viele Entscheidungen an. “Bist du dumm?”, fragte er Stuhlschiedsrichter Damien Dumusois, nachdem er eine in Kyrgios’ Augen fehlerhafte Entscheidung getroffen hatte, und schimpfte: “Du bist eine Schande, du änderst die Regeln, wie du willst.”

Kyrgios fühlt sich missverstanden. Gegenüber internationalen Journalistinnen und Journalisten sagte er: “Keiner von Euch kennt mich wirklich, keiner hängt mit mir in meiner Freizeit ab. Ihr seht nur die Dinge auf dem Platz und da ist es mit mir ein bisschen wie in der Achterbahn. Deswegen verstehe ich, dass es gemischte Reaktionen zu meiner Person gibt.” Kyrgios ergänzte, dass er sich nicht mehr um die öffentliche Meinungen kümmere. “Es ist zum Totlachen. Ich wache auf, lese Dinge und lache einfach nur noch. Ich werde gewisse Sachen einfach nicht mehr los.”

Eklat beim Turnier in Wimbledon 2022: Nick Kyrgios legt sich mit einem Fan während seines Matches an

Eklat beim Turnier in Wimbledon 2022: Nick Kyrgios legt sich mit einem Fan während seines Matches an

Er könne mittlerweile auf seine dunklen Zeiten reflektiert zurückblicken. “Es gab eine Zeit, als mich mein Manager um 4 Uhr nachts aus einem Pub zerren musste – am Tag vor einem Match gegen Rafael Nadal.” In einer von den Tennisverbänden in Kooperation mit einem Streamingdienst produzierte Dokumentarserie bemerkte er mit Blick auf jene Zeit und seinen Freund Daniel Horsfall: “Ich habe jede Nacht getrunken. Er konnte meine mentale Gesundheit zerbrechen sehen.”

Kyrgios steht unter Druck

Doch seine Gesundheit scheint er nun mit einem verkürzten Turnierkalender und mehr Zeit in seiner Heimat Australien im Griff zu haben. Der Druck nun als Mitfavorit in Melbourne an den Start zu gehen macht ihm dennoch zu schaffen. Auf die Frage der DW beim Medienevent am Donnerstag gab er zu: “Es ist sehr schwer zu balancieren. Es zu genießen und gleichzeitig dem Druck standzuhalten. Wir versuchen im Team weiter darauf Antworten zu finden.”

Helfen kann ihm dabei Jugendfreund und Doppelpartner Kokkinakis: “Manche Sachen einiger heimischer Medien sind unfair ihm gegenüber”, sagte er. “Generell ist es aber fairer geworden. Manche Dinge, die er tut, sehen die Leute negativer, als wenn andere Spieler sie tun würden. Am Ende des Tages versucht er es so gut zu machen, wie er kann. Er spürt viel Druck und jeder geht anders damit um.”

Kyrgios hat immer wieder betont, wie schwer es ihm fällt, sich vor Grand Slams voll zu fokussieren und mit den Erwartungen umzugehen. 2022 hat er aber gezeigt, dass er das vereinzelnd kann. Nach einem guten Start am Dienstag in Melbourne gegen den Russen Roman Safiullin könnte in der dritten Runde das Toptalent Holger Rune warten. Im Viertelfinale käme es zum Duell mit Novak Djokovic. Weiter ist Kyrgios bei den Australian Open noch nie gekommen.