Das Miura-Wunder – Profifußball mit Mitte 50

Am 26. Februar wird Kazuyoshi Miura 56 Jahre alt. Aber anstatt sich langsam auf seine Rente vorzubereiten, bricht der japanische Ex-Nationalspieler noch einmal zu neuen Ufern auf. Der Mittelstürmer, der zwischen 1990 und 2000 in 89 Partien für sein Land 55 Tore erzielte, wechselt auf Leihbasis nach Portugal zum Zweitligisten UD Oliveirense. Das haben beide Seiten bestätigt.

Miuras Stammverein ist Yokohama FC, der in Japans 1. Liga spielt und der Onodera Group gehört. Diese Investorengruppe ist auch mit 52 Prozent an Oliveirense beteiligt. So liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei dem Transfer um einen Marketing-Gag handeln könnte. Aber Miura, der in Japan als einer der besten Fußballer in der Geschichte gilt, wiegelt ab: “Obwohl dies ein neuer Ort für mich ist, werde ich hart daran arbeiten, allen die Art von Spiel zu zeigen, für die ich bekannt bin”.

Nachlassenende Schnelligkeit mit Erfahrung ausgleichen

Für Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln hängt es von der Position und den Einsatzzeiten ab, ob ein Mittfünfziger noch in der 2. Liga mithalten kann. “Auf jeden Fall muss man dem Alter ein wenig Tribut zollen, aber das müssen 30-Jährige auch bereits”, so Froböse im DW-Interview. “Natürlich ist das beim 56-Jährigen besonders der Fall beim Thema Schnelligkeitsausdauer, Sprintgeschwindigkeit, Reaktionsfähigkeit. Das Nerv-Muskel-Zusammenspiel wird mit zunehmendem Alter schlechter. Aber, in dieser Frage ist der Höhepunkt immer mit 23 bis 25 Jahren erreicht. Man kann sehr viel mit Routine machen, mit Erfahrung. Man kann besser antizipieren, wohin der Ball geht – so kann man Laufwege reduzieren.”

Nach Ansicht des langjährigen ehemaligen Bundesligatrainers Friedhelm Funkel könnte sich Miura auch bei seinem neuen Arbeitgeber durchsetzen: “Ich kenne das Niveau der 2. Liga in Portugal nicht, aber ich glaube, wie in jedem anderen Berufszweig auch, spielt im Fußball die Erfahrung eine ganz, ganz große Rolle”, sagt Funkel der DW. “Ich finde das einfach toll und glaube auch, dass er die Möglichkeit hat zu spielen und nicht nur ein Statist zu sein.”

Bundesligatrainer Friedhelm Funkel steht klatschend und schreiend am Spielfeldrand

Ex-Bundesligatrainer Friedhelm Funkel hat gerne mit älteren Profis zusammengearbeitet

Er selbst habe immer gerne mit älteren Profis zusammengearbeitet, sowohl als Spieler als auch später als Trainer: “Ich habe einen Mitspieler in der Bundesliga in Uerdingen gehabt, Siggi Held, der war damals 39. Von ihm habe ich sehr viel gelernt, was professionelles Verhalten ist”. Als Trainer, so Funkel, habe er gerade die Älteren mit in die Verantwortung genommen. “Sie haben mehr Lebenserfahrung als die jungen Wilden, deshalb habe ich immer darauf gepocht, dass der Vertrag der Erfahrenen mindestens noch um ein Jahr verlängert wurde.”

Eine japanische Besonderheit

Dass es in Kazuyoshi Miura ausgerechnet ein Japaner ist, der seit Jahren den internationalen Rekord für den ältesten Fußballprofi hält, überrascht Friedhelm Funkel nicht. “Man sieht es auch bei uns in der Bundesliga, in der Champions League. Makoto Hasebe, auch ein Japaner, ist 39 – und der spielt richtig gut”, so Funkel. “Die Japaner sind unglaublich diszipliniert, was die Einstellung, die Ernährung und so weiter angeht. Ich habe in meiner Karriere sieben, acht oder neun Japaner trainiert. Das sind so tolle Menschen. Ohne ihn persönlich zu kennen: Miura wird in der Truppe sofort anerkannt werden.”

Ingo Froböse ist sich sicher, dass diese außergewöhnliche Leistungsfähigkeit keine biologischen Ursachen hat. “Normalerweise sind Japaner genetisch nicht anders als wir Mitteleuropäer. Es gibt zwar in bestimmten Regionen der Welt andere Muskelzusammensetzungen, so wie bei den Sprintern aus der Karibik. Aber bei den Japanern ist das nicht der Fall. Es dürfte also tatsächlich an deren Disziplin liegen.”

Ingo Froböse

Sportwissenschaftler Ingo Froböse: “Wir können 20 Jahre lang 40 bleiben”

Frauen sind im Alter im Nachteil

Auffällig ist die Häufung von älteren Spitzensportlern: Fußballer Cristiano Ronaldo ist fast 38, Triathlet Jan Frodeno 41, Footballer Tom Brady hat jüngst mit 45 seine Karriere beendet und Skispringer Noriaki Kasai ist mit 50 noch aktiv. Bei den Frauen gehört Eisschnellläuferin Claudia Pechstein mit ebenfalls 50 Jahren zu den wenigen Ausnahmen, die noch Topleistungen bringen. Sportwissenschaftler Froböse erklärt das mit der Muskelmasse, die bei Männern in höherem Maße vorhanden und damit trainierbar ist, “weil wir länger auf unserer hormonellen Basis aufbauen können. Bis zu den Wechseljahren haben Frauen sogar Vorteile, weil sie feinfühliger, motorisch sensibler sind. Aber die hormonellen Veränderungen sind dann viel größer als beim Mann, wo sich Veränderungen nur ganz langsam heranschleichen.”

Claudia Pechstein

Eisläuferin Claudia Pechstein will auch mit 50 noch weitermachen. Sie war achtmal bei Olympia dabei.

Nun hat Kazuyoshi Miura angekündigt, bis zum Alter von 60 Jahren spielen zu wollen. Das sei noch machbar, sagt Froböse. “60 ist heute das frühere 50. Wir können mindestens 20 Jahre lang 40 bleiben. Das geht durch regelmäßiges Training, aber dann wird es schwieriger. Dann beginnt der ‘Verlust des Fleisches’, für den wir die Ursache noch nicht kennen. Dadurch gehen Kraft und Muskelvolumen verloren. Das kann man dann nicht mehr durch Training ausgleichen”, sagt der Sportwissenschaftler.