Harald Lange: “Investoreneinstieg ist eine sehr schlechte Idee”

Eine von der Deutschen Fußball Liga (DFL) eingesetzte Kommission hat vorgeschlagen, ein Tochterunternehmen zu gründen, in dem unter anderem die hoch lukrativen TV-Rechte gebündelt werden. Dort könnte sich dann ein Investor für eine Summe von bis zu drei Milliarden Euro mit bis zu 20 Prozent einkaufen, für einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Für die Umsetzung der Pläne wird allerdings eine Zweidrittelmehrheit der 36 Vereine der ersten und zweiten Bundesliga benötigt. Die DW hat darüber mit Fanforscher Harald Lange von der Universität Würzburg gesprochen. 

“Das ist nicht zu Ende gedacht”

DW: Die DFL-Spitze um Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke argumentiert, dass die Bundesliga ohne einen Investoreneinstieg langfristig nicht mehr konkurrenzfähig sei – auch wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie. Gehen Sie da mit? 

Harald Lange: Auf gar keinen Fall. Einen Investoreneinstieg halte ich für eine sehr schlechte Idee. Es geht im Grunde nur darum, innerhalb kürzester Zeit noch mehr Geld in das System zu pumpen. Aber die bestehenden Strukturprobleme haben wir ja schon während der Corona-Pandemie gesehen. Damals war die Rede davon, dass die Liga, so wie sie wirtschaftlich aufgestellt ist, nur wenige Wochen standhalten kann, wenn keine Geisterspiele erfolgen. Man hat schon damals gesehen: Das ganze wirtschaftliche Gebilde in der DFL ist nicht wirklich nachhaltig gebaut. Und jetzt will man wieder an der Schraube drehen – mehr Geld, dann sei man international konkurrenzfähig. Aber das ist nicht zu Ende gedacht.

Also ist ein Kritikpunkt die fehlende Nachhaltigkeit. Fan-Organisationen befürchten zudem, dass die 50+1-Regel ausgehebelt und der Spieltag weiter zersplittert werden könnte. Eine berechtigte Kritik?

Fan-Forscher Harald Lange steht im Tor und wirft einen Ball hoch

Sportwissenschaftler Harald Lange von der Uni Würzburg

Die große Befürchtung auf Fan-Seite ist, dass ein Investor, der bis zu drei Milliarden Euro an Geld reinsteckt, natürlich einen “Return on Investment” [Rendite – Anm. d. Red.] erwartet. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er auch inhaltlich-strukturell Einfluss nehmen wird. Es wäre für den Fußball eine ganz, ganz dunkle Vorstellung, dass ein Finanzinvestor über Spielorte, Spieltage und Strukturen in der Liga mitentscheidet.

Das wird von DFL-Aufsichtsratschef Watzke vehement bestritten. Er behauptet, das Investment sei nicht vergleichbar mit den Aktivitäten irgendwelcher Golfstaaten oder Milliardäre, die Klubs kaufen und ins operative Geschäft eingreifen. Wie glaubhaft ist das? 

Das ist eine Annahme, die bei den Fans so nicht durchgeht, die einfach unglaubwürdig ist. Denn überall, wo bislang Investoren in nennenswerter Finanzordnung sichtbar wurden, haben sie natürlich Einfluss genommen, auch wenn sie letztlich nicht allein entscheiden konnten. Die haben Aufsichtsratsposten besetzt, hinter den Kulissen auch Trainer abgesägt, Spieler eingekauft und verkauft. 

“Welchen Fußball wollen wir?”

Sind die von der DFL erhofften Erlöse von bis zu drei Milliarden Euro realistisch?

Ich halte es für realistisch, dass man so eine große Summe erwirtschaften kann. Aber man ist dann auch langfristig gebunden. Man kriegt jetzt Geld und verzichtet für 20 bis 30 Jahre auf einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen. Das ist nicht ohne.

Gibt es Alternativen zu einem Investoreneinstieg, mit denen man trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann?

Das ist die Schlüsselfrage, über die man sprechen muss: Welchen Fußball wollen wir? Ist es tatsächlich ein Kommerzfußball, der gut davon lebt, dass man permanent kauft, kauft, kauft und gar nicht mehr entwickelt? Das ist aus meiner Sicht die Krux, die hinter all dem steht. Wir können das in der Bundesliga inzwischen gut beobachten: Das viele Geld, das etwa der FC Bayern München zur Verfügung hat, erweist ihm gewissermaßen einen Bärendienst.

FCB-Präsident Herbert Hainer, Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn und Sportdirektor Hasan Salihamidzic sitzen mit ernsten Mienen auf der Tribüne.

Die Chefetage des FC Bayern München muss sich für ihre kostspieligen Entscheidungen verantworten

Weil man mit dem vielen Geld ohne Not mitten in der Saison bei noch drei Titelchancen einen neuen Trainer holt und dann entscheidende Spiele verliert?

Ja. Die Idee war: Ich kaufe mir den Erfolg. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Aus zwei Wettbewerben [DFB-Pokal und Champions League] sind die Bayern raus, im dritten [Bundesliga] haben sie die Führung abgegeben. Die im Profifußball weit verbreitete Idee, dass man Erfolg kaufen kann, indem man einfach nur Geld investiert, reicht viel zu kurz. Vereine wie Union Berlin, der SC Freiburg, aber auch Borussia Dortmund, die der Entwicklung von Talenten, von Leistung und Teamgeist mehr Raum geben, können oben mithalten. 

Also lieber mehr Entwicklung statt mehr Geld?

Nicht nur das. Wir müssen auf Trainerbildung setzen, auf Nachwuchsförderung und auf nachhaltige Strukturen. Wir haben in Deutschland unfassbar viele Talente. Nur wenige von ihnen schaffen den Weg in den Profifußball. Angenommen, wir würden jetzt den Investor kriegen, würden wir spätestens in drei oder vier Jahren nach neuem Geld rufen – mit derselben Rhetorik: Um international anschlussfähig zu bleiben, brauchen wir eine neue Finanzspritze. Damit würde eine Negativspirale in Gang gesetzt.

“Explosion der Gehälter”

Ein Teil der Erlöse soll in die Nachwuchsleistungszentren gehen, wäre das nicht gut investiertes Geld?

Das hätte man bereits mit dem vorhandenen Geld locker machen können. Was man seit Corona versprochen hat, wurde nie umgesetzt: mehr Demut und dass man an den Schrauben dreht, wohin das ganze Geld fließt. Das Einzige, was diese Finanzspritze bewirken wird, ist eine Explosion der Berater-, Funktionärs- und Spielerhonorare.

Werden auch von einem möglichen neuen Verteilungsschlüssel die großen Vereine profitieren?

Wir haben aktuell einen Verteilerschlüssel, der hochgradig ungerecht und unsportlich ist. Er führt dazu, dass sich die Topklubs in Deutschland von den unter- oder durchschnittlich finanzierten Vereinen immer weiter entfernen. Diese Kluft würde jetzt durch eine zusätzliche Milliarden-Finanzspritze auf einen Schlag nochmal vergrößert. 

Protest der Fußballfans gegen Investoren in der DFL

Fans von Borussia Dortmund widersetzen sich den Plänen von Hans-Joachim Watzke

Es gibt prominente Vertreter von Vereinen, die deutliche Skepsis äußern. Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass die Mitgliederversammlung für den Einstieg eines Investors stimmt?

Wir werden in den nächsten Wochen einen massiven Fan-Protest erleben. Die Vertreter der Klubs können es sich im Grunde nicht leisten, in dieser entscheidenden Frage an den Fans vorbei für einen Investoreneinstieg zu stimmen. Ich gehe davon aus, dass die Gruppe, die dagegen stimmen wird, größer sein wird.

Welche Rolle spielt Hans-Joachim Watzke, der einerseits ein Befürworter der Idee ist, andererseits aber auch Geschäftsführer eines Vereins, dessen Fans massiv dagegen sind?

Ich gehe davon aus, dass Hans-Joachim Watzke in Dortmund mächtig unter Druck geraten wird. Die Fans des BVB stehen schon jetzt ganz oben im Kanon der Protestbewegung. Wenn sich Watzke als BVB-Chef zum Anwalt des Investoreneinstiegs aufschwingt, gerät er in eine Zwickmühle, die für ihn irgendwann existenziell werden könnte. Alle seine Funktionen im deutschen Fußball hängen an diesem Mandat für Borussia Dortmund. Wenn er dieses Mandat nicht mehr hat, verliert er alle anderen Ämter. Wollen wir doch mal sehen, ob er dem standhält. 

Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Lange gründete Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur. 

Das Interview führte Olivia Gerstenberger.