Wie sicher ist Russlands zivile Luftfahrt noch?

Wegen der Sanktionen, die nach Russlands Invasion der Ukraine im Frühjahr 2022 verhängt wurden, werden russische Fluggesellschaften nicht mehr mit Flugzeugen und Ersatzteilen beliefert. Auch werden die Maschinen nicht mehr durch europäische und amerikanische Hersteller und Dienstleister gewartet.

Anfang April 2023 hatte das russische Wirtschafts- und Finanzportal RBC unter Berufung auf Quellen berichtet, dass nun erstmals eine Airbus-Maschine A330 zur Reparatur von Fahrwerken in den Iran geschickt werden soll. Diese Entscheidung von Aeroflot kam nicht überraschend, denn im Iran muss die russische Fluggesellschaft nicht damit rechnen, dass die Maschine während der Wartung festgesetzt wird.

Ein Airbus A330-200 der russischen Fluggesellschaft Aeroflot

Ein Airbus A330-200 der russischen Fluggesellschaft Aeroflot

Die A330-Maschine von Aeroflot ist nämlich “doppelt registriert”. Russische Fluggesellschaften haben inzwischen Hunderte Passagierflugzeuge neu registrieren lassen. Die Maschinen stammen von westlichen Flugzeugverleihern, die ihre Leasingverträge mit den russischen Airlines wegen der Sanktionen kündigen mussten. Es handelt sich also um Maschinen, die formell weiterhin im Ausland registriert sind, jedoch ohne Zustimmung der Eigentümer ins russische Register überführt wurden. Die EU-Staaten und die USA sind nicht nur verpflichtet, die Reparatur und Betankung solcher Flugzeuge zu verweigern, sondern sie auch festzusetzen.

Was kann der Iran leisten?

Teheran hat langjährige Erfahrung, wie man unter Sanktionen fliegen kann. Hinzu kommt, dass der Iran auch über Airbus-Maschinen und Ersatzteile verfügt, die Aeroflot benötigt. Allerdings rätseln Experten seit Jahren über deren Ursprung. “Es gibt keine legalen Wege, über die der Iran an Original-Ersatzteile kommen könnte”, sagt Airbus-Sprecher Justin Dubon gegenüber der DW. Beobachter schließen nicht aus, dass der Iran Ersatzteile über “Parallelimporte” oder auf dem Schwarzmarkt bezieht. Solche Ersatzteile könnten in China oder Indien produziert werden.

Zudem könnte der Iran einige Teile selbst herstellen, glauben Journalisten der deutschen Fachzeitschrift Aero Telegraph. Sie betonen, dass der Iran Russland aber nicht viel zu bieten habe, da die iranische Flugzeugflotte nicht im besten Zustand sei. Ende 2021 hatte der Verband der iranischen Fluggesellschaften selbst mitgeteilt, dass etwa die Hälfte der Flugzeuge im Land mangels wichtiger Ersatzteile, darunter Triebwerken, am Boden ist.

Ersatzteilspender für den Aeroflot-Airbus? Ein Airbus A330 der Iran Air (2021)

Ersatzteilspender für den Aeroflot-Airbus? Ein Airbus A330 der Iran Air (2021)

Noch ist es zu früh zu sagen, ob russische Flugzeuge nun regelmäßig im Iran gewartet werden. Eine Quelle bei Aeroflot teilte gegenüber RBC mit, man müsse abwarten, bis die A330-Maschine zurückkehrt. Nach einer ersten Reparatur werde man entscheiden, ob auch andere Maschinen im Iran gewartet werden können.

Wie steht es um die Flugsicherheit?

“Wenn ein Flugzeug flugfähig ist, macht es dann einen Unterschied, wo es repariert wurde? Ich bezweifle, dass an der Reparatur im Iran irgendetwas Besonderes ist. Ich denke, das technische Personal ist professionell genug”, sagte in ehemaliger Pilot einer russischen Fluggesellschaft, der nicht genannt werden möchte, der DW. Er hat Russland kurz nach dem 24. Februar 2022, als die russische Invasion der Ukraine begann, verlassen und arbeitet jetzt im Ausland.

Massenkündigungen von Piloten in Russland wegen technischer Risiken sieht er nicht. Ihm zufolge haben viele seiner Kollegen während der Corona-Pandemie ihre Anstellung verloren. Deshalb würden die verbleibenden Piloten jetzt stillhalten und weiter fliegen, um ihren Job nicht zu riskieren. Eine Quelle im Management einer russischen Fluggesellschaft gab gegenüber der DW aber zu, dass es “nur im ersten Jahr nach der Verhängung der Sanktionen noch sicher war, in Russland zu fliegen”.

Der Flugzeughersteller Airbus will die Risiken einer Wartung von Aeroflot-Maschinen im Iran nicht bewerten. Unternehmenssprecher Justin Dubon sagte der DW lediglich, jedes Originalteil erhalte eine Seriennummer, damit das Unternehmen sie verfolgen könne. Es gebe aber keine Möglichkeit, Ersatzteile nicht originären Ursprungs sowie Dienstleistungen zu überprüfen, die in nicht zertifizierten Zentren durchgeführt würden.

Welche Alternativen hat Russland?

Was Ersatzteile angeht, kann Russland vorhandene Flugzeuge zerlegen oder nicht zertifizierte Teile aus der Türkei oder China einbauen. “Natürlich wird es dann mehr Ausfälle bei der Technik geben. Aber kein einziger Pilot wird bei kritischen Ausfällen fliegen. Man wird ja kein Auto ohne Räder fahren, genauso wenig wird man ohne bestimmte Systeme fliegen. Aber wenn man natürlich gegen alle Regeln verstößt, dann weiß man nicht, welche Folgen das haben wird”, so der russische Ex-Pilot.

Ein schwerwiegendes Problem ist ihm zufolge das Fehlen von Software-Updates für Flugzeuge. Dies könnte für russische Fluggesellschaften bald kritisch werden. Der Pilot betont: “Wenn die Datenbank der Navigation zwei oder drei Monate überfällig ist, ist das noch keine große Sache. Aber später können sich die Routen ändern, und niemand wird erlauben, dass solche Flugzeuge zivilisierte Länder anfliegen. Ich glaube, dass nicht einmal China nach einer gewissen Zeit Flugzeuge ohne aktualisierte Datenbank in seinen Luftraum hineinlassen wird.”

Was die A330-Maschine von Aeroflot angeht, so bezeichnet er sie bereits als “tot”. Russland sei die Zertifizierung und auch der Ort der Reparatur egal. Solche Flugzeuge könnten sowieso nicht mehr weiterverkauft werden. “Man wird sie nur auf dem heimischen Markt einsetzen, bis sie am Ende sind oder vielleicht wieder in den Iran geschickt werden”, meint der Pilot.

Maschine vom Typ Suchoi Superjet 100 (Archivbild 2012)

Maschine vom Typ Suchoi Superjet 100 (Archivbild 2012)

Auch “russische” Flugzeuge betroffen

Die westlichen Sanktionen betreffen übrigens auch Flugzeuge, die formal in Russland gebaut werden. Beispielsweise werden mehr als 75 Prozent der Teile des russischen Superjet-100 von ausländischen Unternehmen geliefert. Im März 2023 meldeten mehrere russische Fluggesellschaften einen Mangel an Ersatzteilen aus den USA für diesen Flugzeugtyp, ohne die ein Weiterbetrieb nicht möglich ist.

Auch ein weiterer russischer Flugzeugtyp, die MC-21-Maschinen, deren Inbetriebnahme auf 2025 verschoben wurde, hat mit denselben Problemen zu kämpfen: dem Mangel an Teilen, die nicht in Russland, sondern im Ausland hergestellt werden.

“Aus meiner Sicht hat Russland in der jetzigen Situation keine Zukunft. Auch die russische Luftfahrtindustrie hat keine Zukunft. Schon bald werden wir in die 90er Jahre zurückgeworfen sein, wo es viele Unfälle gab”, befürchtet der ehemalige Pilot.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk