Ukraine aktuell: Ukraine setzt Kamikaze-Drohnen bei Atomkraftwerk ein

Das Wichtigste in Kürze:

  • Kiew bestätigt Einsatz von Kamikaze-Drohnen bei Atomkraftwerk
  • Ukrainische Armee kesselt 1000 russische Soldaten in Region Cherson ein
  • USA geben weitere Militärhilfen für Kiew frei
  • Blinken pocht auf rasche Umsetzung des Getreide-Abkommens
  • Baerbock lehnt Wehrpflicht auch in Kriegszeiten ab

“Mit Kamikaze-Drohnen wurde ein Angriff auf eine Zeltstadt und feindliche Technik ausgeführt”, teilte der Militärgeheimdienst in Kiew mit. Zerstört worden seien dabei Luftabwehr und ein Mehrfachraketenwerfer des Typs Grad (Hagel). Laut Geheimdienst wurden in der Stadt Enerhodar drei Russen getötet und zwölf verletzt. In einem dazu veröffentlichten Video sind Zelte und Menschen zu sehen, die vor einer Explosion fliehen.

Zuvor hatte bereits die russische Besatzungsverwaltung des Gebiets Saporischschja über die Attacke mit Drohnen rund 440 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew berichtet. Demnach wurden elf Kraftwerksmitarbeiter verletzt, vier davon schwer. Vladimir Rogov, ein Mitglied der russischen Verwaltung, schrieb auf Telegram, dass drei ukrainische “Kamikaze-Drohnen” die Anlage getroffen hätten. Nach seinen Angaben wurde der Reaktorbereich nicht beschädigt. Die Angaben beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das mit sechs Blöcken und einer Leistung von 6000 Megawatt größte Atomkraftwerk Europas wurde von der russischen Armee Anfang März erobert. Über die Hälfte der ukrainischen Elektroenergie wird aus Atomkraft erzeugt. Die Explosion eines Kraftwerksblocks 1986 im damals sowjetischen Kraftwerk Tschernobyl in der Nordukraine gilt als das größte Atomunglück der Geschichte.

Ukraine: 1000 russische Soldaten in Region Cherson eingekesselt

Im besetzten Gebiet Cherson im Süden der Ukraine sind Angaben aus Kiew zufolge mehr als 1000 russische Soldaten von ukrainischen Streitkräften eingekesselt worden. Unweit der Siedlung Wyssokopillja seien die Russen in eine “taktische Umzingelung” geraten, so der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Olexij Arestowytsch, am Abend. Am Donnerstag hätten sie erfolglos einen Durchbruch versucht. Unabhängig überprüfen lassen sich Arestowytschs Aussagen nicht. Eine Bestätigung von russischer Seite gibt es zunächst ebenfalls nicht.

Ukraine-Krieg

Das Bild der russischen Staatsagentur TASS zeigt Soldaten der Brigade Odessa im Raum Cherson

Die ukrainische Armee hat bereits vor einiger Zeit die Eroberung des Dorfs Potjomkyne bestätigt. Im Generalstabsbericht war die Rede von russischen Bombardements des Orts. Wyssokopillja wurde darin nicht erwähnt.

Die ukrainische Armee hatte zuletzt mehrere Gegenangriffe auf das Gebiet Cherson gestartet, das russische Soldaten kurz nach Kriegsbeginn weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Auch mit Hilfe westlicher Waffen will die Ukraine verlorene Gebiete zurückerobern. In Cherson protestierte die Bevölkerung in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die russischen Besatzer. Es gab auch Anschläge gegen prorussische Verwaltungsmitglieder, die Moskau eingesetzt hat.

Zeitung: Verluste der ukrainischen Armee sinken

Die US-Zeitung “Wall Street Journal” meldet unter Berufung auf Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, die ukrainische Armee erleide mittlerweile deutlich geringere Verluste als noch vor einigen Wochen. Selenskyj habe in einem Interview gesagt, dass derzeit pro Tag rund 30 ukrainische Soldaten getötet würden – im Mai und im Juni seien es zwischenzeitlich 100 bis 200 täglich gewesen.

USA gibt weitere Militärhilfen für Ukraine frei

Die USA haben weitere Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 270 Millionen Dollar bewilligt. Der Sprecher des Weißen Hauses sagte, Präsident Joe Biden habe angesichts der von Russland verübten “Gräueltaten” deutlich gemacht, “dass wir die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk so lange unterstützen werden, wie es nötig ist.”

HIMARS, Artillerie-Raketensystem M142 mit hoher Mobilität

Das amerikanische Himars-Raketensystem M142 bei einer Übung (Archivbild)

Die Militärhilfe umfasst auch vier neue Raketenwerfer vom Typ Himars. Die Zahl der Himars-Raketenwerfer, die in die Ukraine geschickt werden, erhöhte sich damit auf 20. Die Ukraine bezeichnete die Raketenwerfer, die auf bis zu 80 Kilometer entfernte Ziele schießen können, als entscheidende Waffe im Kampf gegen Russland. Die neu freigegebene Hilfe soll auch 500 Drohnen vom Typ Phoenix Ghosts umfassen, die an ihrem Zielort detonieren. Außerdem werde Artilleriemunition geliefert, sagte der Sprecher. Der Großteil dieser Hilfen stammt aus einem 40-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine, das der US-Kongress im Mai beschlossen hatte.

UN will auf Diplomatie um Getreide-Deal aufbauen

Nach der Einigung auf eine Aufhebung der russischen Getreide-Blockade im Schwarzen Meer wollen die Vereinten Nationen den diplomatischen Schwung für weitere Verhandlungen nutzen. Moskau und Kiew hätten ihre militärischen Ziele für den Getreide-Deal zumindest in einigen Gebieten hintangestellt, sagte UN-Sprecher Farhan Haq. “Wir werden versuchen, darauf aufzubauen”, antwortete er auf die Frage, ob die Vereinten Nationen die Chance auf Verhandlungen über eine Waffenruhe nun als besser einschätzen. Die Einigung könne dazu beitragen, “ein besseres Klima für künftige Vereinbarungen zu schaffen”.

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Russland macht Weg für ukrainische Getreideexporte frei

Zuvor hatten sich die Kriegsparteien fast fünf Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erstmals auf eine größere Übereinkunft verständigt: Getreideexporte aus der Ukraine über das Schwarze Meer sollen nach einer Blockade Russlands wieder möglich werden. Unter UN-Führung sollen Vertreter der Länder aus einem Kontrollzentrum in Istanbul zusammen mit der Türkei einen humanitären Korridor im Schwarzen Meer abstecken und überwachen. Die Einigung gilt als größter diplomatischer Erfolg von UN-Generalsekretär António Guterres.

Getreide für zehn Milliarden Dollar eingelagert

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich zufrieden mit der Lösung für die Ausfuhr großer Mengen Getreide aus seinem Land. Die einzelnen Punkte des in Istanbul unterzeichneten Dokuments entsprächen “voll und ganz den Interessen der Ukraine”, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. “Jetzt können wir nicht nur die Arbeit unserer Häfen am Schwarzen Meer wiederaufnehmen, sondern auch den erforderlichen Schutz für sie aufrechterhalten.” Selenskyj sagte zudem, die Ukraine könne nun insgesamt 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ernte des Vorjahres exportieren. Es seien Vorräte im Wert von rund 10 Milliarden Dollar eingelagert.

Ukraine-Krieg | Abkommen über Export von ukrainischem Getreide

Der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow unterschreibt das Getreide-Abkommen

USA pochen auf rasche Umsetzung des Getreide-Abkommens

Nach der Vereinbarung zu ukrainischen Getreideausfuhren hat US-Außenminister Antony Blinken eine schnelle Umsetzung der Vereinbarung gefordert. “Die Hungernden der Welt können nicht warten, und wir erwarten, dass die Umsetzung der heutigen Vereinbarung zügig beginnt und ohne Unterbrechung oder Einmischung erfolgt”, sagte Blinken in Washington. Der Minister begrüßte die Einigung, gab aber auch eine Warnung ab. Ein Ende der Blockade der ukrainischen Agrarexporte durch das Schwarze Meer sei nur einer der vielen Schritte, die Russland unternehmen müsse, um sicherzustellen, dass die Lebensmittel aus der Ukraine auf die Weltmärkte gelangten. “Solange Russland seine ungerechtfertigte und brutale Aggression gegen die Ukraine fortsetzt, wird die weltweite Ernährungssicherheit gefährdet bleiben.”

Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Die russische Seeblockade verhinderte weitgehend die Ausfuhr des Getreides. Die Nahrungsmittel werden jedoch auf dem Weltmarkt – vor allem in Asien und Afrika – dringend benötigt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten.

Human Rights Watch: Russische Soldaten foltern Zivilisten

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft Russlands Streitkräften Folter von Kriegsgefangenen und Zivilisten in der Ukraine vor. In den südlichen Regionen Cherson und Saporischschja hätten Befragungen Dutzender Personen 42 Fälle offenbart, in denen russische Besatzungstruppen Zivilisten entweder verschwinden ließen oder sie auf andere Weise willkürlich festhielten. Einige hätten keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, viele seien gefoltert worden. Human Rights Watch dokumentierte auch die Folterung von drei ukrainischen Kriegsgefangenen, von den zwei danach starben.

“Russische Truppen haben die besetzten Gebiete der Südukraine in einen Abgrund der Angst und wilden Gesetzlosigkeit verwandelt”, erklärte Yulia Gorbunova, die leitende Ukraine-Forscherin bei Human Rights Watch. Bei Folter, unmenschlicher Behandlung sowie willkürlicher und rechtswidriger Inhaftierung von Zivilisten handle es sich um offensichtliche Kriegsverbrechen. “Die russischen Behörden müssen solche Misshandlungen sofort beenden und verstehen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden können und werden.”

Baerbock lehnt Wehrpflicht auch in Kriegszeiten ab

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock lehnt eine Wehrpflicht in Deutschland auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine klar ab. Sie glaube nicht, dass es für die Sicherheit – auch mit Blick auf die hoch spezialisierten Zeiten – sinnvoll sei, Menschen für die Bundeswehr oder einen Ersatzdienst zu verpflichten, die das vielleicht gar nicht wollten, sagte die Grünen-Politikerin bei einer Fragerunde mit Bundesbürgern in München.

Petersburger Klimadialog, Annalena Baerbock

Außenministerin Annalena Baerbock

“Erst recht nicht, wenn wir in einer Situation sind, wo wahnsinnig viele Menschen – jüngere, aber auch ältere – sagen: Wir wollen uns freiwillig engagieren.” Die Ministerin verwies darauf, dass es in Deutschland Bundesfreiwilligenprogramme gebe und die finanziellen Mittel nicht reichten, um jedem, der sich engagieren wolle, das auch zu ermöglichen. 

kle/cw (afp, dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.