Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj fordert internationale Hilfe für den Wiederaufbau
- Besonders Lyssytschansk im Gebiet Luhansk massiv unter Druck
- Belarussischer Machthaber Lukaschenko droht dem Westen
- Bundesnetzagentur warnt vor Folgen von ungleichem Gasfluss im Netz
Angesichts der massiven Zerstörungen in der Ukraine durch die russischen Streitkräfte hat Präsident Wolodymyr Selenskyj nach mehr als vier Monaten Krieg erneut einen Appell an die Staatengemeinschaft gerichtet und internationale Hilfe beim Wiederaufbau seines Landes gefordert. “Es ist notwendig, nicht nur alles zu reparieren, was die Besatzer zerstört haben, sondern auch eine neue Grundlage für unser Leben zu schaffen: sicher, modern, komfortabel, barrierefrei”, sagte er in einer neuen Videoansprache. Dies erfordere “kolossale Investitionen, Milliarden, neue Technologien, bewährte Verfahren, neue Institutionen und natürlich Reformen”.
Selenskyj erinnerte zudem daran, dass der Krieg noch lange nicht vorbei sei. “Seine Brutalität nimmt mancherorts zu.” Er appellierte an seine Landsleute, sich freiwillig für Kriegsopfer zu engagieren.

Präsident Wolodymyr Selenskyj schwört seine Landsleute auf einen langen Krieg ein
Bei einer Konferenz für die Ukraine, die am Montag in Lugano in der Schweiz beginnt, will die ukrainische Regierung erstmals ihre Prioritäten für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes vorstellen. Mit Geberländern und Finanzinstitutionen geht es um die Koordinierung der künftigen Aufgaben. Dabei sind Vertreter aus rund 40 Ländern und etwa 20 internationalen Organisation.
Widersprüchliche Berichte aus dem Osten der Ukraine
In Lyssytschansk eingesetzte ukrainische Soldaten sprechen von einem systematischen Beschuss von Gebäuden der Stadt durch russische Artillerie. “Die russische Taktik besteht momentan darin, jedes Gebäude zu beschießen, in dem wir uns befinden könnten. Wenn sie es zerstört haben, gehen sie zum nächsten über”, sagte ein Soldat bei einer Rast mit mehreren Kameraden in der Stadt Konstjantyniwka westlich von Lyssytschansk.
Der Gouverneur der Region, Serhij Hajdaj, sagte, Russland versuche, mit allen verfügbaren Waffenarten Lyssytschansk, das letzte Bollwerk des ukrainischen Widerstands in der Provinz Luhansk, einzunehmen.
Dass Lyssytschansk vollständig umzingelt und die Stadtverwaltung unter Kontrolle prorussischer Separatisten und russischer Soldaten sei, wie separatistische Kämpfer zuvor erklärt hatten, wollten ukrainische Stellen nicht bestätigen. Ein Vertreter der Separatisten sagte der russischen Nachrichtenagentur Tass, man habe zusammen mit russischen Truppen “die letzten strategischen Hügel” erobert.

Schäden an einem Wohngebäude in der Nähe von Odessa im Süden nach einem Angriff in der Nacht zu Freitag
Die russische Armee zerstörte nach eigenen Angaben auch Waffenlager nahe der Großstadt Mykolajiw im Süden des Landes sowie in der Ostukraine bei Charkiw. Der ukrainische Generalstab bestätigte russische Angriffe in diesen Regionen.
Westliche “Entscheidungszentren” im Visier
Der kremltreue Machthaber der Ex-Sowjetrepublik Belarus, Alexander Lukaschenko, hat dem Westen gedroht. Sollte es einen Angriff auf Belarus geben, werde sein Land sofort reagieren, sagte Lukaschenko der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zufolge in einer Rede zum bevorstehenden Unabhängigkeitstag des Landes. “Vor weniger als einem Monat habe ich den Einheiten der Streitkräfte den Befehl gegeben, die – wie man jetzt sagen kann – Entscheidungszentren in ihren Hauptstädten ins Visier zu nehmen”, sagte der 67-Jährige. Was genau er damit meint, erläuterte er nicht. Er fügte hinzu: “Fassen Sie uns nicht an – und wir werden Sie nicht anfassen.”
Seit Kriegsbeginn Ende Februar gibt es die Befürchtung, dass Belarus offiziell an der Seite Russlands in den Krieg einsteigen könnte. Lukaschenko hat bereits eingeräumt, dass in den ersten Kriegswochen russische Raketen von belarussischem Staatsgebiet aus auf die Ukraine abgefeuert wurden.
Bundesnetzagentur warnt vor ungleichem Gasfluss
Laut dem Chef der Bundesnetzagentur hätte eine ungleiche Gasversorgung weitreichende Folgen für die Endverbraucher. “In dem Moment, in dem der Druck im Gasnetz in einer Region unter ein gewisses Mindestmaß fallen würde, würde auf einen Schlag in Hunderttausenden Gasthermen die Sicherung einspringen”, sagte Klaus Müller den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die müsste händisch von geschulten Fachkräften wieder freigeschaltet werden, wenn wieder Gas in der Region verfügbar wäre. Ein solches Szenario könne niemand wollen, “weil es sehr lange dauern würde, die Gasversorgung wiederherzustellen. Also wird es immer das Ziel der Bundesnetzagentur sein, notfalls Reduzierungen beim industriellen Verbrauch anzuordnen, damit dieses Szenario nicht eintritt.”
Nach Müllers Angaben sind die Gasflüsse in Deutschland bislang mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. “Das könnte sich ändern, sollten wir nur noch Gas aus Norwegen, den Niederlanden oder Belgien erhalten”, so Müller. Deshalb würden die Speicher schon jetzt so gefüllt, dass auch der Süden der Bundesrepublik ausreichend versorgt werden könne.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Sanktionen des Westens gegen Moskau hatte Müller bereits am Samstag gesagt, er fürchte einen Totalausfall der Gaslieferungen aus Russland. Zugleich warnte er vor falschen Akzenten beim Energiesparen. “Die Krisensituation bezieht sich auf Gas – und nicht auf Strom”, sagte er. Deutschland stehe nicht vor einer Stromlücke.
qu/wa (dpa, rtr ,afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.