Ukraine Aktuell: Kiew ruft Zivilisten im Süden zur Flucht auf

Das Wichtigste in Kürze:

 

  • Ukraine hofft auf militärische Erfolge im Süden
  • Selensky droht russischen Soldaten
  • Botschafter Melnyk geht mit Wehmut
  • Bildungsministerin will “volle Unterstützung” für ukrainische Schüler

 

Die ukrainische Führung hat Zivilisten im besetzten Süden des Landes wegen geplanter Armee-Offensiven zur Flucht aufgerufen. Einwohner der Gebiete Cherson und Saporischschja sollten dringend ihre Häuser verlassen – notfalls auch in Richtung der bereits seit 2014 von Russland annektieren Schwarzmeer-Halbinsel Krim, sagte Vize-Regierungschefin Irina Wereschtschuk. Das sei notwendig, damit die Menschen im Zuge bevorstehender Rückeroberungsversuche nicht gefährdet würden.

Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagte in einem Interview der britischen Zeitung “The Sunday Times”, Präsident Wolodymyr Selenskyj habe dem Militär befohlen, mithilfe westlicher Waffen besetztes Gebiet im Süden zurückzugewinnen. Insbesondere die Küstengebiete seien für die ukrainische Wirtschaft von großer Bedeutung. Selenskyj hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach betont, dass sein Land sich von Russland kontrollierte Regionen zurückholen wolle.

Selenskyj droht “russischen Mördern”

Nach dem verheerenden Raketenangriff mit vielen Toten im Gebiet Donezk hat der ukrainische Präsident russischen Soldaten mit Konsequenzen gedroht. “Die Bestrafung ist für jeden russischen Mörder unvermeidlich”, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Montag. Der Angriff auf den Ort Tschassiw Jar habe einmal mehr gezeigt, dass Russlands Truppen vorsätzlich auch in Wohngebieten töteten.

“Nach solchen Angriffen werden sie nicht sagen können, dass sie etwas nicht gewusst oder nicht verstanden haben”, sagte der ukrainische Staatschef. Gemeinsam mit internationalen Beobachtern sammele die Ukraine seit Kriegsbeginn Beweise, um die Verbrechen der Russen aufzuklären, betonte er. In Tschassiw Jar wurden nach einem Raketenbeschuss am Samstagabend bislang 15 Menschen tot aus den Trümmern eines fünfgeschossigen Hauses gezogen. Sechs weitere Menschen konnten die Retter lebend bergen. Noch immer aber werden 23 Menschen vermisst, hieß es von ukrainischer Seite – darunter ein Kind. 

Wartungsarbeiten an Pipeline starten

Am heutigen Montag sollen zehntägige Wartungsarbeiten an der Nord Stream 1-Gaspipeline beginnen. In dieser Zeit kann die durch die Ostsee laufende Röhre nicht für den Gastransport genutzt werden. Mit Spannung wird in Deutschland und Westeuropa erwartet, ob der russische Energiekonzern Gazprom nach dem Ende der Wartung wieder in vollem Umfang Gas nach Westen pumpen wird.

Ukraine-Konflikt - Nord Stream 1

Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin bei Greifswald

Seit einigen Wochen liefert Gazprom nur noch einen Teil der Gasmenge und hat dafür technische Gründe vorgebracht. Die Bundesregierung hält die Kürzung jedoch für politisch motiviert. Angesichts der Unsicherheit für die Zeit nach dem 21. Juli hat sie eine Notfallplanung für einen Komplettausfall russischen Gases in Gang gebracht. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte, er rechne mit dem völligen Stopp russischer Lieferungen.

Abschied mit Wehmut

Der Abschied aus Deutschland fällt dem abberufenen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk nach eigenem Bekunden nicht leicht. “Deutschland bleibt in unseren Herzen”, sagte Melnyk der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, “der Abschied fällt uns schwer”. “Ich war zweimal in Deutschland auf Posten, ich habe eine sehr enge Beziehung zu diesem Land, die streckenweise auch eine Art Hassliebe war.”

Dr Andrij Melnyk I Botschafter der Ukraine

Andrij Melnyk sieht sich nach eigenen Worten in einer Art Hassliebe mit Deutschland verbunden

Seine Amtszeit werde formell “vermutlich in wenigen Wochen zu Ende gehen”, zitierte die Zeitung ihn. Dann würden er und seine Familie in die Ukraine ausreisen. In seiner Zeit als Botschafter, also etwa seit Beginn des von Russland gesteuerten Krieges in der Ostukraine, habe er “andere Jobangebote abgelehnt”, um seine Mission in Deutschland weiterführen zu könne.

Ein großer Kraftakt

Mehr als 146.000 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche sind inzwischen an deutschen Schulen aufgenommen worden. Angesichts des anhaltenden russischen Angriffskriegs brauchten sie “volle Unterstützung”, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der “Rheinischen Post”.

Deutschland Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Die Integration in das Bildungssystem sei ein enormer Kraftakt, so die Ministerin. Sie dankte Ländern, Schulen und Lehrkräften. Im kommenden Schuljahr werde die Schulpflicht nach anfangs “sehr pragmatischen Umgang überall greifen müssen”. Natürlich hoffe man weiter auf eine möglichst schnelle Rückkehr der Kinder und Jugendlichen in ihre Heimat; “wir müssen uns aber auch auf eine längerfristige Perspektive hier einstellen”, sagte Stark-Watzinger. Angebote auf Ukrainisch seien dann “eine gute Ergänzung”.

haz/ack (dpa, rtr, afp)