Noch vor Sonnenaufgang wurde Mohsen Shekari hingerichtet. Laut offizieller Mitteilung hatte der junge Mann vor einiger Zeit an einer Protestaktion gegen die Regierung in Teheran teilgenommen und im Zuge dessen eine Straßen blockiert. Dabei soll er ein Mitglied der von der Revolutionsgarde geführten Basidsch-Paramilitärs verletzt haben. Mitglieder der Basidsch mischen sich in Zivilkleidung unter die Protestierenden und versuchen die Koordination der Proteste zu verhindern.
In einem Schnellverfahren wurde Mohsen Shekari wegen “Krieges gegen Gott” zum Tod verurteilt. Bis zur Vollstreckung des Urteils wusste die Öffentlichkeit kaum etwas über den 23-Jährigen. Er war einer von mehrere tausend Demonstranten, die in den vergangenen knapp drei Monaten verhaftet wurden. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam protestieren Iraner gegen die Staatsmacht. Laut Menschenrechtsorganisationen wurden rund 18.000 Demonstranten verhaftet. Bekannt ist, dass mindestens elf von ihnen wegen “Krieges gegen Gott” verurteilt wurden.
Foto von Mohsen Shekari auf einem Smartphone
Der “Krieg gegen Gott” ist im iranischen Strafrecht eines der schwersten Verbrechen gegen die islamische Staatsordnung und wird mit dem Tode bestraft. Was “Krieg gegen Gott” genau heißt, ist allerdings nicht klar definiert. Der Terminus bietet viel Raum für Interpretationen. Die Justiz wendet ihn jetzt im weitesten Sinne gegen inhaftierte Demonstranten an, um alle anderen einzuschüchtern.
Streiks auch an “ruhigen” Unis
“Es wird schlimmer, weil durch Wut und Trauer die Familie, Freunde und Bekannte der getöteten Demonstranten mobilisiert werden”, erwartet der 26-jährige Student Alireza (Name geändert) im Gespräch mit der DW. Alireza studiert in der Stadt Gazvin rund 130 Kilometer von Teheran entfernt. Gazvin gilt mit knapp einer halben Million Einwohner als Kleinstadt im Iran. Wer dort protestiert, wird schnell von den Sicherheitskräften identifiziert. Alireza fügt hinzu: “Die Sicherheitskräfte in Zivil kontrollieren momentan alles, auch an der Uni. Ich weiß nicht, wie lange sie so viel Aufwand treiben wollen, um uns zu überwachen. Die Welle der Proteste kehrt aber zurück. Momentan streiken wir an der Uni und nehmen nicht am Unterricht teil. Das machen viele. Deswegen werden viele Veranstaltungen abgesagt.”
Friedliche Protestaktionen an Unis gehen weiter
Um Protestaktionen zumindest an den Universitäten den Wind aus den Segeln zu nehmen, behaupten fast alle Funktionäre der Staatsmacht im Iran momentan, dass sie den “Dialog” suchen. So hatten etliche Universitäten am 7. Dezember, dem iranischen “Tag der Studenten”, Veranstaltungen organisiert und Vertreter des Staates eingeladen, um Fragen der Studenten und Studentinnen zu beantworten. An der Universität Teheran zum Beispiel hielt Präsident Ibrahim Raisi eine Rede, danach durften Fragen an ihn gerichtet werden.
“An diesen Veranstaltungen nehmen vor allem ruhige und systemtreue Studierende teil”, glaubt die 25-jährige Studentin Fatemeh (Name geändert). Sie studiert an der Al-Zahra Universität in Teheran. Al-Zahra ist die einzige Hochschule im Iran, die ausschließlich Frauen aufnimmt, und strenge Aufnahmeregeln hat. “Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini gibt es auch bei uns Protestaktionen. Ich bin wirklich überrascht vom Mut meiner Kommilitoninnen. Früher war es die Universität Teheran, die bei politischen Aktionen immer an erster Front stand. Diesmal protestieren alle.”
Protest kapert den offiziellen “Tag der Studenten”
Die Universität Teheran gilt als angesehenste Universität des Landes. Vor 69 Jahren am 7. Dezember wurden dort drei Studenten von Soldaten erschossen. Der Grund waren Proteste nach einem Putsch. Im August 1953 war die Regierung von Ministerpräsident Mohammed Mossadegh, die einzige demokratisch gewählte Regierung in der jüngeren Geschichte des Irans, durch einen vom amerikanischen Geheimdienst CIA organisierten Putsch gestürzt worden. Die USA setzte erneut den Schah von Persien als Herrscher ein, Mohammed Reza Pahlavi, der keinen demokratischen Reformen zustimmte. Die drei getöteten Studenten wurden zum Symbol des Widerstands.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Glühender Verfechter iranischer Interessen
Mohammed Mossadegh war von 1951 bis zu seinem Sturz 1953 – mit einer kurzen Unterbrechung – Irans erster demokratisch gewählter Premierminister. Gebildet, eloquent und charismatisch, hatte er auch viele Bewunderer im Westen. Für die Länder der Dritten Welt wurde er zu einer Art Ikone des Antiimperialismus, weil er es wagte, die britische Ölindustrie im Iran zu verstaatlichen.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Öl für das Empire
Seit 1909 hatten die Briten quasi ein Monopol auf das iranische Öl besessen. Die Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) – die heutige British Petroleum (BP) – hatte in Kolonialherrenmanier Verträge ausgehandelt, nach denen das Empire jedes Jahr Profite in Millionenhöhe abschöpfte. Der Iran dagegen erhielt nur geringe Tantiemen.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Schuften in sengender Sonne
Die Briten beuteten die iranischen Ölarbeiter schamlos aus. In Abadan, dem Ort der größten iranischen Raffinerie, lebten die Arbeiter unter katastrophalen Umständen in Slums und schufteten für die AIOC, die jegliche Verbesserung des Lebensstandards ablehnte. Iranische Politiker forderten seit Ende des Zweiten Weltkrieges Nachverhandlungen der Verträge, bissen aber bei den Briten auf Granit.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
“Nationalisierung oder Tod!”
1951 spitzte sich die Lage zu. Mohammed Mossadegh, gerade erst Premierminister geworden, ordnete die Verstaatlichung der iranischen Ölindustrie an. Die Briten reagierten empört, zogen alle britischen Experten ab und verhängten ein Ölembargo gegen den Iran. Die so genannte “Abadan-Krise” brachte den Iran in den nächsten zwei Jahren an den Rand des Bankrotts.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Ambivalente Amerikaner
Außerdem wandten die Briten sich Hilfe suchend an die USA. Doch US-Präsident Truman lehnte jede Intervention strikt ab. Truman war zwiegespalten: Einerseits wollte er die mit ihm verbündeten Briten nicht verprellen. Andererseits sympathisierte er mit Mossadegh und glaubte, nur ein freier, wirtschaftlich starker Iran könne dem kommunistischen Einfluss der UdSSR widerstehen.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Schwindende Stabilität
Doch Irans anhaltende Wirtschaftskrise zeigte Wirkung: Langsam bekamen auch radikalere Strömungen immer mehr Zulauf – so wie die kommunistische Tudeh-Partei. In mehreren Massendemonstrationen forderte sie den Rauswurf von Amerikanern und Briten und eine Hinwendung des Landes Richtung Moskau. Dennoch glaubte man in den USA immer noch, dass Mossadegh die innenpolitische Lage unter Kontrolle habe.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Zwei Wahlen ändern alles
Doch dann kommt Ende 1951 in London Winston Churchill wieder an die Macht. Ein Jahr später wird Truman in Washington von Dwight D. Eisenhower beerbt. Gekonnt beschwört Churchill die Gefahr eines kommunistischen Umsturzes im Iran herauf. Eisenhower, der schon im Zweiten Weltkrieg gute Erfahrungen mit Geheimdienstoperationen gemacht hat, willigt in eine CIA-Aktion zum Sturz Mossadeghs ein.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
“Operation Ajax” beginnt
Im Juli 1953 reist CIA-Agent Kermit Roosevelt in den Iran. Er überzeugt den Schah (rechts im Bild), Mossadegh zu entlassen und mit General Fazlollah Zahedi einen Strohmann westlicher Interessen zum neuen Premier zu ernennen. Ein Kurier sollte die unterzeichneten Entlassungspapiere zu Mossadegh bringen, Mossadegh selbst direkt nach Erhalt unter Hausarrest gestellt werden.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Organisiertes Chaos
Gleichzeitig sorgte die CIA für Chaos in Teheran. Sie bestach Politiker, Geistliche, Journalisten und Arbeiter und wiegelte so Anhänger und Gegner Mossadeghs gegeneinander auf. Wer auf der Straße die Oberhand behalten würde, war den Agenten egal. Einzig wichtig war, den Schah als Retter des Volkes zu inszenieren, der die ihm treue Armee einsetzen sollte, um wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Flucht nach Rom
Doch der erste Putschversuch am 15. August 1953 misslang. Mossadegh hatte von den Plänen Wind bekommen. Er ließ einige iranische Rädelsführer des Putschversuches verhaften und setzte auf den daraufhin untergetauchten General Zahedi ein Kopfgeld aus. Als der Schah erfuhr, dass die Stimmung zu seinen Ungunsten kippte, floh er außer Landes: erst nach Bagdad, dann nach Rom.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Trügerische Sicherheit
Am 18. August 1953 sah Mossadegh wie der sichere Sieger aus. Doch ging er von einem Komplott des Schahs und der Briten aus. Er wusste nicht, dass auch die USA darin verstrickt waren. Für den folgenden Tag rief Mossadegh seine Anhänger auf, zuhause zu bleiben, um eine weitere Eskalation der Gewalt auf Teherans Straßen zu verhindern. Mit einem zweiten Putschversuch rechnete Mossadegh nicht.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Die Stimmung kippt
CIA-Agent Roosevelt mobilisierte erneut die Massen. Am 19. August gingen sie für den Schah auf die Straße – diesmal ohne Gegenwehr der Mossadegh-Anhänger. Die Entlassungsurkunden des Schah wurden tausendfach kopiert und unter der Bevölkerung verteilt. Immer mehr Polizei- und Militäreinheiten schlossen sich daraufhin den Demonstranten an und stürmten das Außenministerium und die Polizeizentrale.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Entscheidungsschlacht vor Mossadeghs Haus
Unterstützt von einer Panzerkolonne drang eine Menschenmenge zu Mossadeghs Privathaus vor. Dort entbrannte eine Straßenschlacht zwischen Anhängern und Gegnern des Premiers, mehr als 200 Menschen kamen dabei ums Leben. Als die Schah-Anhänger das Haus stürmten, floh Mossadegh über die Gartenmauer. Fünf Tage später stellte er sich und wurde von seinem Widersacher General Zahedi verhaftet.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Alleinherrscher von Washingtons Gnaden
Am 22. August 1953 kehrte der Schah aus Rom zurück. In der Folgezeit errichtete er eine Militärdiktatur, die massiv von den USA unterstützt wurde. Mit amerikanischer Hilfe baute er auch die berüchtigte Geheimpolizei SAVAK auf. Die Verstaatlichung der Ölförderung wurde rückgängig gemacht – fast die Hälfte der Einnahmen daraus ging fortan an amerikanische Firmen.
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Die CIA und der Mossadegh-Putsch im Iran
Ende eines Hoffnungsträgers
Nach seiner Verhaftung wurde Mossadegh wegen Hochverrats vor Gericht gestellt und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Im Dezember 1956 aus der Haft entlassen, zog sich Mossadegh in sein Privathaus in Ahmad Abad zurück – bewacht von Mitarbeitern des Geheimdienstes SAVAK. Sein Heimatdorf durfte Mossadegh fortan nicht mehr verlassen. Er starb am 5. März 1967.
Autorin/Autor: Thomas Latschan
Nach der Revolution 1979 und dem Sturz des Schahs wurde der 7. Dezember zum Tag der Studenten erklärt. Seitdem finden jährlich an diesem Tag Gedenkveranstaltungen und Kundgebungen statt. Diese Kundgebungen lieferten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder einen Anlass für Protestaktionen gegen das theokratische iranische System. “Wir werden weiter für Demokratie und Freiheit kämpfen”, teilten Studierende an sieben großen Universitäten in der Hauptstadt Teheran am Tag der Studenten in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.
Videos von Protestversammlungen an verschiedene Universitäten zirkulieren im Netz. Aber auch Videos, die einen Tag zuvor in der Sharif-Universität aufgenommen worden waren. Dort hatte sich der Bürgermeister von Teheran mit Studierenden getroffen. Alireza Zakani wurde mit vielen kritischen Fragen konfrontiert. Eine Studentin ging sogar ohne Kopftuch auf Bühne hinter dem Mikrofon und sagte im: “Der Schah hatte wenigstens so viel Würde, dass er außer Landes gegangen ist, nachdem er die Massenproteste erlebt hatte.” Schließlich wurde Zakani mit Parolen wie “Tod dem Diktator” von den Studierenden nach draußen begleitet.
Großes Risiko für protestierende Studenten
Teilnehmer an solchen Protestaktionen müssen mit harten Strafen rechnen. Zum Beispiel die Studentin Saba Rayani: Sie wurde zu sechs Monaten Haftstrafe und 30 Peitschenhieben verurteilt. Sie hatte bei einer früheren Gelegenheit lediglich an einer friedlichen Protestaktion an der Uni teilgenommen. Über das Urteil wurde sie am “Tag der Studenten” informiert.
Mitarbeit: Shora Azarnoush