Ukraine: Bringt Ramstein den Leopard-2-Kompromiss?

Er betrachte die Frage, ob die Ukraine auch Leopard-2-Panzer aus deutscher Produktion erhalten werde, bereits als positiv beantwortet, sagt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. “Ich kann die Panzeroption als freigegeben betrachten”, sagt Kuleba per Videoschalte in die Schweizer Berge. 

Zu diesem Zeitpunkt am Donnerstag (19.1.2023) haben sich in Berlin der deutsche und der US-amerikanische Verteidigungsminister, Boris Pistorius und Lloyd Austin, zu Gesprächen über die weitere Militärhilfe für die Ukraine aus dem Westen zurückgezogen. Sie sprechen einen Tag, bevor die USA die rund 50 Unterstützer-Staaten der “Ukraine-Kontaktgruppe” auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein in Deutschland zusammenbringen, um ein umfangreiches Militärhilfe-Paket für das von Russland angegriffene Land zu schnüren.

Deutschlands neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein US-Amtskollege Lloyd Austin geben sich die Hand im Hintergrund eine deutsche und US-amerikanische Flagge

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin (li.) und sein neuer deutscher Amtskollege Boris Pistorius am Rande ihres Vorbereitungstreffens für die Ramstein-Konferenz

“Die Option wird vollständig freigeschaltet”, so der ukrainische Außenminister Kuleba, “wenn Deutschland denjenigen Drittländern grünes Licht gibt, die bereit sind, uns ihre Leopards zur Verfügung zu stellen”. Polen und Finnland hatten in der Vorwoche zugesagt, jeweils rund ein Dutzend ihrer Leopard 2 an die Ukraine abgeben zu wollen.

Leopard-2-Vorbehalt durch Deutschland

Deutschland behält sich – wie meist im internationalen Rüstungsgeschäft – eine Genehmigungspflicht vor, wenn ein Empfängerland Waffen aus deutscher Produktion weiter exportieren will. Zeichnet sich da ein möglicher Kompromiss zwischen Berlin und Washington ab? Noch ein Tag zuvor, am Mittwoch verbreitet der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, auch in Davos, offenbar das Junktim, Deutschland würde Leopard 2 liefern, wenn die USA ihren Kampfpanzer Abrams in die Ukraine abgeben würden. So verlautet es aus US-amerikanischen Kreisen beim Weltwirtschaftsforum.

Daraufhin erklärt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video am Donnerstag: “Wenn jemand sagt: ‘Ich gebe Panzer, wenn jemand anderes auch Panzer gibt’ … Ich glaube nicht, dass dies die richtige Strategie ist.” Die USA haben Abrams-Panzer in Europa stationiert. Allerdings gilt das Gerät als sehr anspruchsvoll in der Bedienung.

Während Panzer aus europäischer Produktion in der Regel mit Diesel-Kraftstoff fahren, benötigt der Abrams Benzin – das wäre für die Ukraine auch logistisch kaum zu schaffen, davon sind die meisten Fachleute überzeugt. “Es gibt Zeiten, in denen wir nicht zögern oder vergleichen sollten”, sagt Selenskyj zum Publikum in Davos. 

Die ukrainische Armee vollbringt schon jetzt eine große Leistung, indem sie die vielen völlig unterschiedlichen Militärgeräte der Unterstützernationen an der Front unter einen Hut bringt – bei Transport, Versorgung mit Kraftstoff und bei Reparaturen.

Wozu braucht die Ukraine Panzer aus dem Westen?

Die deutsche Regierung steht unter Druck, während hinter den Kulissen die Diplomatie auf Hochtouren läuft. In Deutschland dominiert das Tauziehen um den Leopard 2 die öffentliche Debatte über die Ukraine-Lieferungen. Vor allem der linke Flügel der sozialdemokratischen Kanzlerpartei SPD positioniert sich seit Monaten gegen die Lieferung von Kampfpanzern, während die Koalitionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und die liberale FDP diese fordern.

Die Denkfabrik IISS (International Institute for Strategic Studies) rechnet schon länger mit Leopard-2-Lieferungen an die Ukraine. “Es wird immer wahrscheinlicher, dass der Leopard 2 in das ukrainische Inventar aufgenommen wird”, schreibt das IISS Mitte Januar, “aber die Auswirkungen auf dem Schlachtfeld werden von der Anzahl der gelieferten Fahrzeuge abhängen”. Notwendig wären demnach insgesamt 100 Leopard 2, um der Ukraine einen entscheidenen Vorteil zu verschaffen. “Auch wenn die Bereitstellung einer kleinen Anzahl von Leopard 2 politisch bemerkenswert ist, so wäre sie doch nur eine symbolische Geste.”

Moderne 150-Kilometer-Rakete aus Schweden

Dabei stecken in dem neuerlichen Hilfspaket für die Ukraine noch ganz andere, womöglich nicht weniger entscheidende Waffen für die Ukraine. Darunter auch eine Rakete, die erst im vergangenen Herbst überhaupt auf den Rüstungsmarkt gekommen ist. Gemeinsam mit dem US-Konzern Boeing hat die schwedische Rüstungsschmiede Saab eine Artillerie-Rakete entwickelt, die nur einen Bruchteil des Preises vergleichbarer US-amerikanischer Boden-Luft-Raketen kosten soll. In Ramstein soll beschlossen werden, dass die Ukraine dieses Waffensystem erhält.

Die Rakete “hat eine Reichweite von 150 Kilometern, kann sowohl stationäre als auch bewegliche Ziele angreifen”, schreibt der britische Rüstungsinformationsdienst “Janes Defence”. Laut dem schwedischen Hersteller könne sie “von einer Vielzahl von Abschussvorrichtungen und Konfigurationen aus gestartet werden”. Also offenbar auch von den Artilleriesystemen, die der Westen bislang in die Ukraine gegeben hat. 

Vorbereitung für Angriffe auf die Krim?

Bei einer Reichweite von 150 Kilometern könnte die ukrainische Armee von der Frontlinie aus gesehen Ziele in etwa bis zur Mitte der von Russland annektierten Halbinsel Krim erreichen.

Karte der Ukraine und dem Frontverlauf samt zurückeroberter Gebiete

Landkorridor zur Krim: Mit einer Raketen-Reichweite von 150 Kilometern könnte die Ukraine russische Truppen bis zur Mitte der Krim erreichen

Die russischen Streitkräfte bombardieren – auch von ihren Stützpunkten auf der Krim – die zivile Infrastruktur der Ukraine. Nach einem Bericht der “New York Times” soll US-Präsident Joe Biden seine Zurückhaltung aufgegeben haben, die Ukraine mit durchschlagsstarken Waffen auszurüsten, mit denen die Krim-Halbinsel dauerhaft angegriffen werden kann.

In Moskau reagiert der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf diesen Bericht und warnt: “Dies würde bedeuten, den Konflikt auf eine neue Ebene zu heben, die nicht gut für die europäische Sicherheit sein wird”, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters aus einem Gespräch mit Putin-Sprecher Dmitri Peskow. Mit diesen Raketen könnte die ukrainische Armee zudem eine eigene Offensive in das Gebiet südlich der Großstadt Saporischschja vorbereiten und die Rückgewinnung der von Russland im Frühjahr 2022 eroberten Landbrücke zur Krim über die russisch besetzte Stadt Melitopol vorbereiten.

Mit den seit Anfang Januar öffentlich gemachten Waffenlieferungen aus dem möglichen Ramstein-Paket ist klar, dass sich die Verbündeten der USA in der Ukraine-Kontaktgruppe entschlossen haben, dem angegriffenen Land auch modernste und womöglich entscheidende westliche Waffen zu liefern. Damit die Ukraine einem neuerlichen massiven Angriff Russlands wie im Frühjahr 2022 widerstehen und weitere Landesteile befreien kann. Es wäre qualitativ ein neuer entscheidender Schritt – entschieden in Ramstein.

Kampfpanzer für die Ukraine: Der Westen als Kriegspartei?