Ukraine Aktuell: Selenskyj mit Karlspreis ausgezeichnet

              Das Wichtigste in Kürze

  • Selenskyj: Russland “zu jeder Grausamkeit fähig” 
  • Skepsis gegenüber Vatikan-Bemühungen
  • Wieder Luftalarm in der Ukraine
  • Russland räumt Tod von Militärkommandeuren ein

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist im Krönungssaal des Aachener Rathauses mit dem diesjährigen Karlspreis ausgezeichnet worden. Selenskyj bezeichnete die Auszeichnung als große Ehre. Er stehe hier für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jeden Tag für ihre Freiheit und für die Werte Europas kämpften, sagte Selenskyj in seinem Dankeswort. “Jeder von ihnen würde es verdienen, hier zu stehen.” Der Staatschef betonte, dass die Ukraine nichts lieber wolle als den Frieden – dieser könne in dem derzeitigen Konflikt aber nur mit einem Sieg gewonnen werden. Der Krieg in der Ukraine entscheide auch über das Schicksal Europas, weil es Russland darum gehe, die Geschichte der europäischen Einigung ungeschehen zu machen. Russland sei “zu jeder Grausamkeit und Gemeinheit fähig”. Selenskyj bekräftigte in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem Beitritt seines Landes zur EU und zur NATO. 

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die Ukraine und ihren Präsidenten für ihren beharrlichen Widerstand gegen die russischen Truppen gewürdigt. “Der Freiheitswille und die Widerstandskraft in dunkler Zeit spenden Hoffnung und Inspiration weit über die Ukraine hinaus”, sagte Scholz in seiner Laudatio. An der Spitze der Ukraine verteidige Selenskyj “die Werte, für die Europa steht”. Der Krieg habe zudem die Europäische Union und die Ukraine zugleich so eng zusammengebracht wie nie zuvor. Die Ukraine könne sich weiterhin “auf unsere volle Unterstützung verlassen”. Dies gelte auch für die Bestrebungen Kiews, Mitglied der EU zu werden.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte Selenskyjs Mut und seine “unerschütterliche Standhaftigkeit”. Der Präsident und das ukrainische Volk kämpften “für genau die Werte und die Verpflichtung, die dieser Preis verkörpert”, sagte von der Leyen. “Und damit kämpfen sie zugleich für unsere Freiheit und unsere Werte.” Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte Selenskyj einen Verteidiger europäischer Werte. Er sei “ein großer europäischer Führer”, ein “Held” und herausragender Staatsmann des 21. Jahrhunderts. Russlands “barbarische Angriffe” seien dagegen der Gegenpol zum freien Europa, das von der Ukraine verteidigt werde.

Der seit 1950 verliehene Aachener Karlspreis gilt als eine der wichtigsten europäischen Auszeichnungen. Zu den Preisträgern gehören unter anderem Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Präsident Emmanuel Macron und Papst Franziskus.

Selenskyj und Scholz vor den Länderfahnen an Rednerpulten

Wirbt für die Lieferung Kampfjets: Präsident Selenskyj mit Bundeskanzler Scholz bei der Pressekonferenz

Erster Deutschlandbesuch Selenskyjs seit Kriegsbeginn

Der ukrainische Präsident war in der Nacht zu Sonntag in Deutschland gelandet. Es ist sein erster Besuch hierzulande seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Zum Auftakt seines Besuches in Berlin empfing Bundespräsident  Frank-Walter Steinmeier den ukrainischen Präsidenten in seinem Amtssitz Schloss Bellevue.

Selenskyj dankte Deutschland für die Unterstützung im Abwehrkampf gegen den Angriffskrieg Russlands. “In der schwierigsten Zeit in der modernen Geschichte der Ukraine hat sich Deutschland als unser wahrer Freund und verlässlicher Verbündeter erwiesen, der im Kampf für die Verteidigung von Freiheit und demokratischen Werten entschieden an der Seite des ukrainischen Volkes steht”, schrieb Selenskyj auf Englisch ins Gästebuch. Persönlich bedankte sich Selenskyj bei Steinmeier für dessen Unterstützung. Er dankte auch dem deutschen Volk für dessen “fantastische Solidarität”. Nach dem Eintrag ins Gästebuch folgte ein Gespräch des Bundespräsidenten mit dem ukrainischen Gast.

Selenskyj sitzt an einem Tisch und trägt sich ins Gästebuch ein, Steinmeier steht daneben

Deutschland als “wahrer Freund” der Ukraine: Selenskyj trägt sich ins Gästebuch des Bundespräsidenten

Im Anschluss empfing Bundeskanzler Scholz Selenskyj mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Nach einem Gespräch unter vier Augen und einer weiteren Unterredung im kleinen Kreis traten beide vor die Presse. Selenskyj würdigte die neue militärische deutsche Hilfe als sehr wichtig für sein Land. “Der Umfang der deutschen Hilfe ist der zweitgrößte nach den USA.” Scholz betonte, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstützen werde. Selenskyj bat Deutschland, sein Land in einer Koalition mit anderen Partnern durch die Lieferung moderner Kampfjets zu unterstützen. Die Ukraine arbeite während seines Besuchs in europäischen Hauptstädten daran, eine solche Koalition zu schaffen. Scholz äußerte sich dazu zurückhaltend.

Auf die Frage, ob die Waffenlieferungen aus dem Westen für eine ukrainische Offensive ausreichten, sagt Selenskyj lächelnd: “Noch einige Besuche, dann ist es ausreichend.” Angesprochen auf Befürchtungen, ukrainische Streitkräfte könnten mit moderneren westlichen Waffen auch russisches Staatsgebiet angreifen, sagte der Präsident: “Wir greifen das russische Territorium nicht an. Wir befreien unser gesetzmäßiges Gebiet.”

Scharfschützen auf Dächern

Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen: Der Besuch von Selenskyj in Berlin wurde erst sehr kurzfristig bekannt gegeben

Deutschland schnürt neues Militärpaket für die Ukraine

Erst am Samstag hatte die Bundesregierung ein neues milliardenschweres Waffenpaket für die Ukraine angekündigt. Das Land werde Militärhilfe im Wert von rund 2,7 Milliarden Euro erhalten, teilte das Bundesverteidigungsministerium mit. “Mit diesem wertvollen Beitrag an dringend benötigtem militärischen Material zeigen wir einmal mehr, dass es Deutschland mit seiner Unterstützung ernst ist”, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius. Geliefert würden unter anderem 30 Leopard-1-Panzer, 20 Marder-Schützenpanzer, über 200 Aufklärungsdrohnen, vier Iris-T-Flugabwehrsysteme sowie Munition und mehr als 100 gepanzerte Fahrzeuge.

Am Samstag hatte Selenskyj in Rom Staatspräsident Sergio Mattarella, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sowie Papst Franziskus getroffen. Der ukrainische Präsident warb in der italienischen Hauptstadt um weitere Unterstützung für den Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni sicherte dem Gast aus Kiew Hilfe zu, “so lange es nötig ist und darüber hinaus”.

Italien | Besuch Wolodymyr Selenskyj in Rom | PK mit Meloni

Italiens Regierungschefin Meloni sicherte der Ukraine ihre Unterstützung zu

Skepsis gegenüber Vatikan-Bemühungen

Bemühungen des Vatikans für einen Friedensdialog mit Russland hält Selenskyj für wenig erfolgversprechend. “Bei allem Respekt für den Papst: Die Sache ist die, dass wir keine Vermittler brauchen zwischen der Ukraine und dem Aggressor, der unsere Gebiete besetzt hat, sondern einen Aktionsplan für einen gerechten Frieden in der Ukraine”, sagte er im Sender Rai 1. Er war konkret nach einer möglicher Vermittlerrolle des Papstes gefragt worden, bezog in seine Antwort aber auch andere Akteure als mögliche Mediatoren ein. 

Landesweiter Luftalarm

In der Ukraine ist am frühen Sonntagmorgen ein landesweiter Luftalarm ausgelöst worden. Auslöser sollen örtlichen Medienberichten zufolge Raketenstarts von mehreren strategischen Bombern der russischen Luftwaffe aus dem Bereich des Kaspischen Meeres gewesen sein. Informationen aus dem Kriegsgebiet lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Brennende Gebäude und Feuerwehrkräfte

Feure und Zerstörung in der Stadt Ternopil nach einem Raketenangriff von Russland

Bereits während des Eurovision Song Contests (ESC) war am Samstagabend die Heimatstadt der ukrainischen ESC-Teilnehmer. Tvorchi von Russland angegriffen worden. Kurz vor dem Auftritt des Duos in Liverpool erschütterten Explosionen russischer Raketen die Stadt Ternopil in der Westukraine, wie der Vorsitzende des Gebietsrats, Mychajlo Holowko, mitteilte. Die Behörden riefen die Bewohner auf, Schutzräume aufzusuchen. Über Schäden und Opfer war zunächst nichts bekannt. Laut dem russischen Verteidigungsministerium wurden bei den Luftangriffen auf Ternopil wie auch den Ort Petropawliwka im Zentrum der Ukraine Lager mit vom Westen gelieferten Waffen sowie ukrainische Armeestellungen getroffen. Russland habe dabei “hochpräzise Langstreckenwaffen” eingesetzt. “Alle Ziele wurden getroffen”, hieß es weiter.

 

Das Ministerium berichtete auch von anhaltenden Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Ukrainische Truppen hätten “massive Versuche” unternommen, die russischen Verteidigungslinien nördlich und südlich von Bachmut zu durchbrechen. Alle ukrainischen Angriffe seien jedoch zurückgeschlagen worden.

Moskau gibt Tod von zwei Militärkommandeuren bekannt

Das russische Verteidigungsministerium hat in einem seltenen Schritt den Tod von zwei hochrangigen Militärkommandeuren bei den Kämpfen in der Ostukraine gemeldet. Bei den Toten handele es sich um den Kommandeur der 4. motorisierten Gewehr-Brigade, Wjatscheslaw Makarow, und den stellvertretenden Kommandeur des Armeekorps für militärisch-politische Arbeit, Jewgeni Browko, erklärte ein Sprecher in Moskau. Beide Kommandeure seien getötet worden, als russische Truppen ukrainische Angriffe zurückgeschlagen hätten. Das Verteidigungsministerium äußert sich nur sehr selten zu Verlusten auf russischer Seite bei der seit fast 15 Monaten andauernden Militäroffensive im Nachbarland. 

Hubschrauber-Absturz in der Grenzregion

In der Grenzregion zur Ukraine ist am Samstag nach Angaben von russischen Rettungskräften ein russischer Armee-Hubschrauber vom Typ Mi-8 abgestürzt. Zwei Menschen an Bord seien ums Leben gekommen, teilten die Rettungskräfte nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass mit. Aus anderer Quelle hieß es, der Hubschrauber sei ersten Erkenntnissen zufolge in der Nähe der Stadt Klintsy abgestürzt, weil es einen Motorbrand gegeben habe.

Klintsy liegt in der Region Briansk, rund 65 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Nach Angaben des Regionalgouverneurs Alexander Bogomas wurde eine Frau ins Krankenhaus eingeliefert. Zudem seien fünf Häuser beschädigt worden. Nähere Einzelheiten wurden nicht genannt. Ein Vertreter der russischen Besatzungstruppen in der Ukraine, Wladimir Rogow, nannte allerdings höhere Zahlen: Es seien zwei russische Mi-8, ein Kampfjet Su-35 und ein Kampfjet Su-34 “abgeschossen” und “die Piloten der Hubschrauber und des Su-34 getötet” worden.

sti/haz/ust/dh (dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.