Ukraine aktuell: Ein “Katastrophenrisiko” am AKW Saporischschja

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj fordert Rückgabe von AKW Saporischschja
  • Kreml: Ukrainischer Präsident will Dritten Weltkrieg
  • Militärkommando Süd vermeldet Erfolge in Cherson
  • Anklage gegen bekannten Kremlkritiker Kara-Mursa

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Westen dazu aufgefordert, den Druck auf Moskau hochzuhalten – auch um die Rückgabe des von Russland in Besitz genommenen Atomkraftwerks Saporischschja zu erzwingen. “Ich danke allen für ihre Unterstützung, die für die Rückgabe der vollen ukrainischen Kontrolle über das Kraftwerk und dessen vollständige Entmilitarisierung kämpfen”, sagte Selenskyj in einer weiteren Videoansprache. Die rund 500 russischen Soldaten, die sich in der Nuklearanlage befinden sollen, bezeichnete er als “Katastrophenrisiko”.

Ukraine-Krieg - Kiew Rafael Grossi (IAEA) trifft Wolodymyr Selenskyj

Trafen sich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew: IAEA-Chef Grossi (r.) und Staatschef Selenskyj

Zugleich bedankte sich Selenskyj beim Chef der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) , Rafael Grossi. Dieser habe ihm versichert, dass die IAEA allein die Ukraine als Besitzer des AKW betrachte.

Grossi betonte: “Wir sagen immer wieder, was getan werden muss, nämlich, einen Atomunfall verhindern, der immer noch eine sehr, sehr klare Möglichkeit ist.” Das Atomkraftwerk Saporischschja ist derweit wegen der Kämpfe in der Region abgeschaltet. Zur Sicherung der Anlage soll eine nukleare Schutzzone um das Kraftwerk errichtet werden. Darüber will Grossi auch in Moskau verhandeln. Gespräche dort fänden auf “sehr hoher Führungsebene” statt, wie er in Kiew ankündigte.

Ukraine: Angriffe auf die Stadt Saporischschja

Russland: Selenskyj will den Dritten Weltkrieg

Der Kreml hat Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Richtung NATO zu möglichen Präventivschlägen gegen Russland scharf verurteilt. “Die Erklärungen Selenskyjs sind nichts anderes als ein Aufruf zum Beginn des Dritten Weltkriegs mit unvorhersehbaren schrecklichen Folgen”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Selenskyj hatte zuvor bei einem Videoauftritt vor der australischen Denkfabrik Lowy Institute gefordert, die NATO müsse “die Möglichkeit eines Atomwaffeneinsatzes durch Russland ausschließen. Wichtig ist aber – ich wende mich wie vor dem 24. Februar deshalb an die Weltgemeinschaft – dass es Präventivschläge sind, damit sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie sie anwenden”, so der Staatschef wörtlich.

Ein Sprecher Selenskyjs betonte umgehend, dessen Forderung sei falsch verstanden worden. Der ukrainische Präsident habe lediglich gesagt, vor dem 24. Februar – dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – wären Präventivmaßnahmen nötig gewesen, um den Krieg zu verhindern.

Altkanzlerin mahnt: “Worte ernst nehmen”

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat davor gewarnt, Drohungen im Ukraine-Krieg “von vornherein als Bluff einzustufen”. Der russische Angriff auf die Ukraine sei eine “tiefgreifende Zäsur” gewesen. Und zwar eine, “bei der wir alle gut beraten sind, Worte ernst zu nehmen und sich ernsthaft mit ihnen auseinander zu setzen”, sagte Merkel bei einer Veranstaltung in München.

München 77 Jahre Süddeutsche Zeitung Angela Merkel

Sprach bei einem Festakt zum 77-jährigen Bestehen der “Süddeutschen Zeitung”: Angela Merkel

Die Altkanzlerin betonte erneut, dass ein dauerhafter Friede in Europa “nur unter Einbeziehung Russlands” erfolgen könne. “So lange wir das nicht wirklich geschafft haben, ist auch der Kalte Krieg nicht wirklich zu Ende”, meinte Merkel.

Medwedew nennt EU-Sanktionen zwecklos

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hat die neuen EU-Sanktionen gegen sein Land als zweckloses und teures Unterfangen bezeichnet. “Unsere dummen Opponenten können eine einfache Sache nicht verstehen: Russland lebt schon lange unter den Beschränkungen und hat gut gelernt, sich an die schnell verändernden Umstände anzupassen”, schrieb Medwedew auf seinem Telegram-Kanal. Zugleich schädigten die Sanktionen aber den Westen selbst und die Weltwirtschaft. “Ein typischer Schuss in den eigenen Hintern.”

Er wolle nicht mehr an die Vernunft des Westens appellieren, so Medwedew weiter. Den Feind müsse man “dazu zwingen, um Gnade zu flehen in einer verlorenen Wirtschaftsschlacht. Und sie mit der völligen und bedingungslosen Kapitulation (des Westens) beenden.”

Russland Ölfeld in Almetyevsk

Russisches Öl: zuletzt beschloss die EU einen Preisdeckel dafür

Als “Beweis” für Russlands Unempfänglichkeit gegen Sanktionen führte Medwedew den Rückgang der offiziellen Inflation von 17,8 auf 13,7 Prozent an. Auch das Bruttoinlandsprodukt werde zum Jahresende weniger stark fallen als zunächst befürchtet.

Militärkommando Süd vermeldet Erfolge

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben seit Anfang Oktober mehr als 400 Quadratkilometer Gebiet in der Region Cherson zurückerobert. Die Streitkräfte hätten seither ein Gebiet diesen Umfangs in der südlichen Region “befreit”, teilte das ukrainische Militärkommando Süd mit.

Die russische Armee berichtete hingegen, es sei ihr in der Region gelungen, den “Feind zurückzuschlagen”. Cherson ist eine der vier Regionen in der Ukraine, die Russland ungeachtet internationaler Proteste für annektiert erklärt hatte.

Anklage gegen bekannten Kremlkritiker

Wladimir Kara-Mursa ist in Moskau wegen “Hochverrats” angeklagt worden. Nach Angaben seines Anwalts wird dem Kremlkritiker vorgeworfen, er habe “auf öffentlichen Veranstaltungen in Lissabon, Helsinki und Washington Kritik an der russischen Obrigkeit geübt”. Auf “Hochverrat” stehen in Russland 20 Jahre Haft.

 Russischer Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa

Gilt als prominenter Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin: Wladimir Kara-Mursa

Kara-Mursa sitzt bereits wegen angeblicher Diskreditierung der russischen Streitkräfte in Untersuchungshaft. Der Journalist war ein Vertrauter des im Jahr 2015 in Moskau ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Kara-Mursa gibt an, wegen seines politischen Engagements bereits zweimal Opfer von Giftanschlägen geworden zu sein. Recherchen der Investigativgruppe Bellingcat zufolge wurde er von russischen Agenten verfolgt, die auch in den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny verwickelt sein sollen.

“Deutschlandtrend” zum Ukraine-Krieg

Eine knappe Mehrheit der Bürger in Deutschland ist dafür, aus Russland fliehende Kriegsdienstverweigerer hierzulande aufzunehmen. Im ARD-“Deutschlandtrend” befürworteten dies 54 Prozent der Befragten, 35 Prozent waren dagegen. Die meiste Zustimmung kam von Anhängern der Grünen, bei denen der AfD überwog die Ablehnung.

Infografik DT Kriegsdienstverweigerer DE

wa/cw (dpa, afp, rtr, epd)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.