Sudans Nachbarn in großer Sorge

“Der Sudan bildet das Zentrum langanhaltender Dauerkrisen, er ist von häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt”, sagt Marina Peter, Gründerin des Sudan und Südsudan Forums, im DW-Interview. “Wenn in einem dieser Länder, sei es Ägypten, Libyen, Tschad, die zentralafrikanische Republik, der Südsudan, Äthiopien, Eritrea oder – mit Blick über das Rote Meer – Saudi-Arabien ein Konflikt ausbricht, ist immer auch das Nachbarland betroffen.”

In dem seit Jahren politisch instabilen Sudan kämpfen nun seit einer Woche die zwei mächtigsten Generäle und ihre Einheiten um die Vorherrschaft: Die militärischen Streitkräfte von General Abdel Fattah al-Burhan gegen Mohammed Hamdan Daglos mächtige RSF-Miliz. Durch den Gewaltausbruch steige in Sudan die Gefahr einer Destabilisierung der Region, betont Peter.

Südsudan: Öl als Einnahmequelle

Alle Länder seien auf gute Beziehungen mit dem Sudan angewiesen, sagt Marina Peter. Besonders aber der Südsudan, der sich 2011 unabhängig vom Norden erklärte. Doch von Anfang an rangen dort verschiedene Volksgruppen um die Macht. Ende 2013 brach im jungen Staat ein Bürgerkrieg aus, Hunderttausende Todesopfer waren die Folge.

UN-Friedenstruppen im Ort Nhialdiu im Südsudan (07.12.2018)

Afrikanische UN-Blauhelme im Südsudan (2018): Verschiedene Volksgruppen ringen um die Macht

Von den rund elf Millionen Südsudanesen sind mehrere Millionen in Nachbarländer oder in andere Landesteile des Südsudans geflüchtet. Seit 2020 gilt der Krieg formal als beendet, doch der Frieden ist brüchig: “Bis heute gibt es noch Kämpfe zwischen Rebellen an verschiedenen Orten im Südsudan”, sagt Sudan-Expertin Peter.

Die gemeinsame Geschichte verbindet die Menschen in beiden Ländern stark, sagt auch Gerrit Kurtz, Experte in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. “Viele Menschen aus beiden Ländern wohnen oder halten sich in den jeweils anderen Ländern auf, auch Geflüchtete, und natürlich bestehen auch politisch und wirtschaftlich enge Verbindungen”, sagte Kurtz der Deutschen Welle.

Erbitterter Machtkampf im Sudan

Der Südsudan ist laut Kurtz auf Devisen durch Rohöl-Verkäufe angewiesen. Rund 95 Prozent der öffentlichen Einnahmen gehen darauf zurück. Für den Export ist der Sudan entscheidend: Die Pipeline zieht sich durch den Sudan ans Rote Meer. Die Regierung Südsudans sei deshalb extrem daran interessiert, dass diese Verbindung bestehen bleibe, sagt Kurtz.

Die Regierung ist jedoch selbst zerstritten – hier sei RSF-Anführer Daglo bislang als Vermittler aufgetreten. “Und da das jetzt wegfällt, und sich irgendwie auch die südsudanesischen Parteien versuchen zu positionieren, was den Konflikt im Norden betrifft, könnte das jetzt halt auch zu Gewaltexplosionen in Südsudan führen”, so Kurtz. 

Humanitäre Krise in Tschad

Tschads Militär gab an, 320 paramilitärische Kämpfer aus dem Sudan entwaffnet zu haben, die am Montag die Grenze passiert hätten.  Vor allem aber kommen Zivilisten: Im Tschad sind bereits Geflüchtete aus den im Westen Sudans umkämpften Gebieten angekommen, bestätigte Kommunikationsminister Aziz Mahamat Saleh der DW. Und das, obwohl die gut 1500 Kilometer lange Grenze zum Sudan geschlossen ist.

Der Tschad, ein Land der Gastfreundschaft, könne seine Grenze nicht hermetisch abriegeln, so Saleh. “Wir appellieren an die Unterstützung der internationalen Partner, uns in dieser humanitären Krise, die sich am Horizont abzeichnet, zu unterstützen.”

Es sei zu bedenken, dass der Tschad bereits mehr als 500.000 Flüchtlinge betreut, sagt der tschadische Minister. Saleh befürchtet, ein andauernder Krieg könnte die gesamte Sahelzone nachhaltig beeinträchtigen, auch mit Blick auf den Handel zwischen den Ländern.

Zwischen den beiden Nachbarn Tschad und Sudan gab es traditionell viel Grenzverkehr; auch von Hirten, die ihre Herden beidseits der Grenze weiden ließen. Im Darfur-Konflikt verschlechterte sich das Verhältnis, erholte sich aber inzwischen wieder.

Ägypten – ein Verbündeter

Auch Ägypten blickt auf eine langjährige gemeinsame Geschichte mit dem Sudan zurück, nicht nur als Handelspartner. So zählte der Sudan zur Pharaonenzeit zu Ägypten und nannte sich Nubien. Kurzzeitig herrschten allerdings auch die Nubier über Ägypten, später standen beide Länder unter britischer Kolonialherrschaft.

Beide Länder haben ähnliche Kulturen, das Verhältnis einiger Eliten in Sudan mit Ägypten sei eng, so der Berliner Experte Kurtz: “Viele haben in Ägypten studiert und Streitkräfte wurden dort ausgebildet oder haben regelmäßig Training in Ägypten absolviert.” Bei Ausbruch des jüngsten Konflikts waren auch Mitglieder der ägyptischen Luftwaffe zum Training im Sudan. Nach sudanesischen Angaben wurden 177 Personen nach Ägypten ausgeflogen.

Äthiopien Guba | Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre

Streitpunkt Nil-Talsperre in Äthiopien: Auswirkungen gleichermaßen in Sudan und Ägypten

Das Militärregime in Ägypten sehe in der Militärregierung Sudans also eher einen Verbündeten: “Die Beziehungen sind eng, vor allem auf Seiten der Streitkräfte und des Militärs”, sagt Kurtz.

Ein weiterer Aspekt ist der Streit um das Nilwasser, der sich ganz aktuell stellt, seitdem das flussaufwärts gelegene Äthiopien den Strom für sein riesiges Wasserkraftwerk “GERD” aufstaut. Ägypten wolle “den Sudan in das eigene Lager holen in dem Konflikt”, sagt Kurtz. Seit Jahren gibt es hier immer wieder Verhandlungen, einen fertigen Vertrag der drei Länder gibt es jedoch nicht.

Ägypten hatte sich gemeinsam mit dem Südsudan schon früh als Vermittler im Konflikt zwischen Militär und RSF angeboten. Ein stabiler Sudan – dieses Interesse haben seine Nachbarn gemeinsam.