Studie: Wie Kriegserfahrungen das Arbeitsleben prägen

Kriegserfahrungen können tiefgreifende Folgen für das spätere Erwerbsleben der Betroffenen haben und treten oft erst gegen Ende der beruflichen Karriere zutage. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), für die Daten zu Verwundeten, Gefangenen und Vertriebenen aus dem 2. Weltkrieg ausgewertet wurden.

“Aus unseren Forschungsergebnissen lassen sich auch Lehren für den Ukraine-Krieg ziehen, etwa über die zu erwartenden Nachteile von Kriegsveteranen im Berufsleben oder die Integration von Vertriebenen auf dem Arbeitsmarkt”, sagt der Volkswirt und Mitautor der Studie Sebastian Braun. Zusammen mit dem Ökonomen Jan Stuhler hat er die Kriegsfolgen für Erwerbsbiographien in Westdeutschland anhand der Gruppe der 1919 bis 1921 Geborenen untersucht. Aus dieser Gruppe kämpften 95 Prozent der Männer im Krieg. Außerdem befasst sich die Studie mit Vertriebenen, die bei Kriegsende zwischen zwei und 60 Jahre alt waren.

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“Mit Blick auf die Berufskarriere hatten es die Vertriebenen zunächst schwerer”, ergänzt Braun gegenüber der DW. Ihnen sei nach Kriegsende der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zunächst deutlich seltener gelungen. “Erst als das ‘Wirtschaftswunder’ an Fahrt aufnimmt, verringern sich die Nachteile der Vertriebenen (aus dem Osten) auf dem Arbeitsmarkt gegenüber der ‘einheimischen’ westdeutschen Bevölkerung.” Auch das Einkommen im Alter, und hier gerade das Vermögenseinkommen, sei stark von der Vertreibung verringert worden. “Auf der anderen Seite leiden natürlich gerade die kriegsversehrten Soldaten erheblich unter den gesundheitlichen Folgen des Krieges, nicht zuletzt im höheren Alter”, sagt Braun.

Kriegsverletzungen wirken bis ins Alter

Die Studie zeigt, dass aufgrund von Kriegsverletzungen die Erwerbstätigkeit erst mit fortschreitendem Alter zurückgefahren wird, vermutlich weil dann die gesundheitlichen Probleme verstärkt zum Tragen kommen. Auf den beruflichen Erfolg hatten Kriegsverletzungen laut der Studie keinen Einfluss.

Auch die schwerbeschädigten Soldaten, also Menschen mit Amputationen oder Kriegsblinde, hätten nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg zunächst eine Beschäftigung gefunden, wenn auch weniger häufig in körperlich anspruchsvollen Berufen. “Bei Ihnen treten die gesundheitlichen Probleme im Alter aber noch früher und stärker auf, so dass ihre Erwerbstätigkeit ab etwa 50 Jahren merklich abnimmt”, so Braun. Etwaige finanzielle Verluste, die dadurch entstanden, seien in Deutschland durch Renten für Kriegsopfer fast ausgeglichen worden.

“Psychische Folgen waren Tabuthema”

Laut den ausgewerteten Daten wurden die Soldaten auch nach den psychischen Folgen des Krieges befragt. Allerdings habe kaum jemand angegeben, so Braun, dass er etwa unter Depressionen litt. “Eventuell war das in den 1980er Jahren, als die unserer Studie zugrundliegende Befragung stattfand, noch ein Tabuthema. Wir konzentrieren uns daher auf physische Verletzungen, etwa Schusswunden, Erfrierungen oder Amputationen.”

Verwundete Soldaten in der Ukraine

Verwundete Soldaten in der Ukraine

“Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erwarten wir, dass russische und ukrainische Verwundete nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit dem Arbeitsmarkt fehlen werden, sondern erst wenn sich diese Veteranen dem Rentenalter nähern”, erklärt Braun.

Ehemalige Gefangene waren weniger erfolgreich

In der untersuchten Gruppe der zwischen 1919 und 1921 geborenen Männer waren fast zwei von drei mindestens sechs Monate in Kriegsgefangenschaft, viele von ihnen noch Jahre nach Kriegsende. Wie die Studie zeigt, verkürzte die Gefangenschaft die spätere Lebensarbeitszeit der Betroffenen um durchschnittlich mehr als zwei Jahre. Sie waren im Beruf außerdem deutlich weniger erfolgreich als ehemalige Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten waren. Wer nach der Kriegsgefangenschaft erst später ins Arbeitsleben eintreten konnte, ging im Vergleich durchschnittlich auch ein halbes Jahr später in den Ruhestand – wohl um die früheren Verluste auszugleichen.

Auch die Vertriebenen hatten zusätzlich zum Verlust der Heimat mit Nachteilen im Berufsleben zu kämpfen. Sie fanden teilweise schwerer Arbeit und hatten Probleme bei der Vermögungsbildung. Gerade vertriebene Frauen schafften oft nicht mehr den beruflichen Wiedereinstieg. “Ich denke, dass dies vor allem an der hohen Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit und der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt lag”, sagt Braun. Die Eingliederung von männlichen Flüchtlingen und vor allem von den aus dem Krieg zurückkehrenden Soldaten hätten Priorität gehabt. “Ganz allgemein war die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen in den 1950er Jahren ja noch mit einem enormen Stigma behaftet und das Bild des männlichen Alleinverdieners die gesellschaftliche Norm.”

Politische Unterstützung und schnelle Integration

“Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Politik Kriegsveteranen speziell auch am Ende ihres Berufslebens unterstützen sollte, selbst dann, wenn sie unmittelbar nach Kriegsende erst einmal in den Arbeitsmarkt zurückgefunden haben”, so Braun. “Außerdem ist eine schnelle Integration von Vertriebenen in Arbeitsmarkt und Bildungssystem bedeutsam. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf jungen Erwachsenen im Übergang von der Schule zur Berufsausbildung und auf am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen liegen.”