Republik Moldau: Was bedeutet das Säbelrasseln aus Moskau?

Es war eine höchst bemerkenswerte Geste des US-Präsidenten Joe Biden. Zu einem Treffen mit Vertretern der neun mittel- und südosteuropäischen NATO-Staaten am Dienstag (21.02.2023) in Warschau hatte er auch die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu gebeten – obwohl die Republik Moldau kein NATO-Mitglied ist und vorläufig auch keinen Beitritt zur nordatlantischen Allianz anstrebt. Während einer Rede sprach Joe Biden die moldauische Präsidentin direkt an: “Ich bin stolz, an Ihrer Seite und der des freiheitsliebenden moldauischen Volkes zu stehen”, sagte er und forderte die Anwesenden auf, Maia Sandu zu applaudieren.

Polen, Rede des US-Präsidenten Joe Biden

US-Präsident Joe Biden in Warschau am 21.02.2023

Die Geste hat einen ernsten Hintergrund: Die Republik Moldau, gelegen zwischen der Ukraine und dem Nordosten Rumäniens, befürchtet schon seit längerem, nächstes Opfer der russischen Aggressionspolitik zu werden und sieht sich derzeit mit immer offeneren und heftigeren militärischen Drohungen aus Moskau konfrontiert. Zu Wochenbeginn annullierte der russische Staatspräsident Wladimir Putin ein Dekret aus dem Jahr 2012, in dem der Kreml auch die Souveränität und Integrität der Republik Moldau garantiert. Kurz zuvor hatte der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj davor gewarnt, dass Russland die proeuropäische Staatsführung der Moldau wegputschen wolle. Aus Moskau wiederum hieß es am Donnerstag (23.02.2023), die Ukraine plane eine Militärintervention in der Republik Moldau.

Maia Sandu | moldauische Präsidentin

Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu am 10.2.2023 in Chisinau, der Hauptstadt der Moldau

Was hat es mit dem Säbelrasseln auf sich? Und warum rückt die kleine Republik Moldau mit ihren gerade einmal dreieinhalb Millionen Einwohnern plötzlich immer mehr ins Zentrum des Kriegsgeschehens?

Transnistriens strategische Bedeutung

Die Moldau war das erste Land nach dem Zerfall der Sowjetunion, in dem Russland Separatisten unterstützte, einen blutigen mehrmonatigen Krieg provozierte (1992) und anschließend einen eingefrorenen Konflikt schuf: In Transnistrien, einem schmalen Landstreifen im Osten der Republik Moldau, herrschen seit mehr als drei Jahrzehnten moskautreue Kräfte; außerdem sind dort etwa 2000 russische Soldaten stationiert. Nahe dem transnistrischen Dorf Cobasna befindet sich außerdem das größte Waffenlager Europas mit etwa 20.000 Tonnen Munition und Militärgerät. 1999 garantierte Moskau schriftlich einen Abzug seiner Truppen aus Transnistrien, setzte das Versprechen jedoch nie um.

Karte der Republik Moldau

Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat Transnistrien eine viel höhere strategische Bedeutung als je zuvor. Russland könnte von hier aus eine westliche Front in der Ukraine eröffnen. Oder zumindest ein so großes und auch gewalttätiges innenpolitisches Chaos in der Republik Moldau erzeugen, dass das Land zu einem ernsten Krisenfall an der südöstlichen Außengrenze der NATO und im Westen der Ukraine wird.

Schmuggelrouten gesperrt

Auch die separatistischen Kräfte in Transnistrien könnten ein Interesse an einem solchen Szenario haben. Sie finanzierten sich in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem mit massiven Schmuggelgeschäften, die auch über ukrainisches Territorium liefen. Seit Kriegsbeginn hat die Ukraine jedoch die Grenze zu Transnistrien abgeriegelt. Dem dortigen Regime droht daher ein ökonomischer Kollaps.

Republik Moldau | Transnistrien | Tiraspol | Straße

Straßenszene in Tiraspol, der “Hauptstadt” Transnistriens

In den ersten Monaten nach Kriegsbeginn hatten die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu und die ebenfalls proeuropäische Regierung noch eine lediglich vorsichtig solidarische Haltung gegenüber der Ukraine eingenommen – man wollte nicht allzu sehr auf Konfrontationskurs mit Moskau gehen. Das änderte sich im vergangenen Herbst. Moskau kürzte Gaslieferungen an die Republik Moldau immer weiter und unterstützte Oppositionsparteien bei dem Versuch, die innenpolitische Lage im Land zu destabilisieren. Das dürfte die Präsidentin Sandu und ihre Staatsführung zur Erkenntnis gebracht haben, dass jegliche Ausgleichsbemühungen gegenüber Moskau vergeblich sind.

Ende der Neutralität?

Die Republik Moldau hat deshalb im Eiltempo damit begonnen, ihre Energieversorgung mit Gas und Strom auf Quellen außerhalb Russlands umzustellen. Außerdem wird im Land inzwischen offen darüber diskutiert, ob und wie man den in der Verfassung verankerten Neutralitätsstatus ändern sollte und könnte. Auch eine Aufrüstung der so gut wie wehr- und waffenlosen Streitkräfte der Republik ist im Gespräch – vor wenigen Wochen lieferte Deutschland erste gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Piranha an die Moldau.

Republik Moldau gepanzerte Fahrzeuge aus Deutschland

Deutschland hat der Republik Moldau bisher drei Panzerfahrzeuge vom Typ Piranha geliefert

Denn derzeit könnte sich das Land selbst gegenüber den Separatisten kaum verteidigen – Transnistrien verfügt vermutlich über Dutzende Kampfpanzer und anderes schweres militärisches Gerät sowie über große Munitionsbestände. Die Ukraine hat dem kleinen Nachbarn deshalb angeboten, ihm militärisch beizustehen, wenn Moskau und die Separatisten einen Konflikt provozieren. Dass die Ukraine eine Intervention in der Republik Moldau plant, ist jedoch ein hanebüchener Vorwurf und dient höchstens als Vorwand für den Kreml. Denn die Ukraine kann auf eine weitere Front und eine Bindung militärischer Ressourcen, die sie woanders braucht, gut und gern verzichten.

Eines hat Russlands Staatspräsident Wladimir Putin allerdings schon erreicht: Die bisher politisch eher schwankende Republik Moldau löst sich entschlossener als je zuvor in den vergangenen drei Jahrzehnten aus dem Würgegriff Moskaus. Jenseits symbolischer Gesten wie der des US-Präsidenten am Dienstag in Warschau kommt dabei auch immer mehr Unterstützung vom “älteren Bruder” Rumänien, mit dem die Republik Moldau Sprache, Kultur und eine lange gemeinsame Geschichte teilt: Bei der wirtschaftlichen Loslösung von Russland wird Rumänien künftig einer der Schlüsselpartner sein.