Putins Kriegswirtschaft läuft wie geschmiert – wie lange noch?

In den Tagen nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wurde die russische Wirtschaft ernsthaft erschüttert. Die westlichen Verbündeten unter Führung von USA und EU erließen Sanktionen gegen das Finanzsystem des Landes. Der Rubel sank auf ein Rekordtief im Verhältnis zum Dollar, Russlands Zentralbank verdoppelte die Rubel-Zinswerte und die Moskauer Börse wurde für einige Tage geschlossen.

Führende Politiker in der EU sprachen von “massiven und ernsthaften Konsequenzen” für Russland, Ökonomen sagten einen tiefen Fall des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vorher. Aus Washington hörte man noch Wochen nach Inkrafttreten der Sanktionen: “Experten sprechen von einem 15-Prozent-Abschwung des BIP in diesem Jahr (2022), der die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen 15 Jahre zunichte machen wird.”

Ukraine Konflikt | Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, bei einem NATO-Treffen zum Ukraine-Krieg

Putins Geheimniskrämerei

So ist es nicht gekommen. Obwohl das vergangene Jahr für die russische Wirtschaft sehr schwer gewesen ist, hat sie sich doch deutlich besser geschlagen als vorhergesagt.

Ein klares Bild zu gewinnen, ist nicht möglich. Der Kreml hält seit der Invasion viele wichtige wirtschaftlicher Kerndaten unter Verschluss – bis heute. Der grundsätzliche Zustand der russischen Wirtschaft ist so nicht sicher zu beurteilen. Auf jeden Fall ist sicher: Der prophezeite wirtschaftliche Kollaps ist ausgeblieben.

“Man kann wohl sagen, dass der Rückgang der Wirtschaftskraft deutlich geringer ausgefallen ist als jene zehn bis 15 Prozent, von denen bei Beginn des Krieges die Rede war”, sagte Alexandra Vacroux, Executive Director am Davis Center für Russland- und Eurasienstudien an der Harvard Universität zur DW. Sie glaubt, das russische BIP sei 2022 um drei bis vier Prozent gesunken. Das stimmt im Großen und Ganzen mit den Schätzungen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) überein.

Panik an der Moskwa

Chris Weafer hat rund 25 Jahre als Investmentberater in Russland gearbeitet. Er erinnert sich an eine echte Panik in der russischen Wirtschaft in den ersten Monaten des Krieges. Und zwar nicht nur wegen der Sanktionen, sondern auch, weil viele Unternehmen das Land freiwillig verließen.

“Es gab Spekulationen, dass die Verluste beim Handel und bei den Logistikrouten das verarbeitende Gewerbe hart treffen und zu hohen Jobverlusten führen würden. In dieser Zeit war ich wirklich sehr pessimistisch, was den Ausblick auf die Bilanz 2022 anging”, sagte Weafer zur DW. Doch die Lage habe sich “schnell verbessert. Man konnte sehen, dass die schlimmsten Vorhersagen nicht eintreffen würden.”

Europa kaufte noch 2022 russische Energie

Es gibt verschiedene Gründe, warum Russlands Ökonomie die Vorhersagen übertroffen hat. Ein Hauptgrund sind seine fossilen Brennstoffe, vor allem Öl und Gas. Die EU hatte den Import dieser Energieträger nicht sofort sanktioniert und ihre Wirtschaften blieben abhängig von Öl und Gas aus dem Osten.

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Russlands Öl- und Gasquellen sprudeln noch – und bescheren dem Kreml weiterhin fette Einnahmen

Europa kaufte noch lange Zeit im vergangenen Jahr den Russen ihr Öl und Gas ab, während Moskau schon andere Abnehmer fand: in China und Indien sowie weiteren Ländern. Anfang Februar 2023 meldete die russische Zentralbank einen Rekord beim Außenhandel: Der habe 2022 um 211 Milliarden Euro zugelegt – hauptsächlich durch Einnahmen bei Energieexporten zu deutlich gestiegenen Preisen.

“Den Russen sind riesige Einnahmen beim Öl- und Gasexport quasi in den Schoß gefallen, weil westliche Händler nicht nur weiterhin russische Produkte gekauft haben sondern zusätzlich auch ihre Lager damit gefüllt haben”, kommentiert Weafer diese Entwicklung.

Warmer Regen über dem Kreml

Mit diesem “Geldregen” konnte Moskau den Schaden für seine Devisenreserven weitgehend beschränken. “So war es möglich”, so Chris Weafer, “Schlüsselindustrien weiterhin zu unterstützen und die Beschäftigung zu sichern. Und außerdem nicht nur die Militärausgaben zu schultern, sondern auch Sozialprogramme zu finanzieren und ganz generell im Land die wirtschaftliche und soziale Stabilität aufrecht zu erhalten.”

So ist die Arbeitslosenquote weiterhin niedrig – inoffiziell ist von vier Prozent die Rede. Obwohl diese Zahl natürlich dadurch verzerrt ist, dass viele Menschen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie entweder eingezogen worden sind oder das Land wegen des Krieges verlassen haben.

Nicht alle sind gegangen

Ein anderer stabilisierender Faktor sind jene westlichen Unternehmen, die entgegen früher gemachten Angaben weiterhin in Russland tätig sind und das Land nicht verlassen haben, als der öffentliche Druck nachgelassen hatte.

Laut Chris Weafer haben sich zwar viele Firmen, wie beispielsweise McDonald’s, unter hohem Druck sozialer Medien stehend, aus Russland zurückgezogen, andere scheinen diesen Gegenwind jedoch auszuhalten: “Gerade jene Firmen, die wirtschaftlich eine große Rolle spielen, weil sie viele Steuern bezahlen oder hohe Einnahmen erzielen oder viele Mitarbeiter beschäftigen – sie waren sehr, sehr viel zurückhaltender dabei, das Land zu verlassen.”

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Alte Sanktionen, neue Märkte

Ein weiterer Grund für die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft liegt in den Sanktionen selbst, sagt Harvard-Ökonomin Alexandra Vacroux. Die Sanktionen hätten gerade in Ländern wie Venezuela, dem Iran und Russland die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

“Es ist eine Tatsache”, so Vacroux, “dass Sanktionen gerade dann am wirksamsten sind, wenn sie erlassen werden. Wenn Sie drohen und sagen ‘Wenn Ihr X tut, dann antworten wir mit Sanktion Y’, dann wird der Aggressor überlegen: ‘Ist es überhaupt sinnvoll, X zu tun, wenn es dann zu Antwort Y kommt?’ Zu diesem Zeitpunkt können die Sanktionen vielleicht etwas bewirken. Aber sobald die russischen Soldaten Schritt X gegangen sind und die Grenze überschritten hatten, gab es keine Hebelwirkung für die Sanktionen mehr.”

Daran erinnerte sich nämlich der Kreml, dass er auch mit den Sanktionen, die seine Annexion der Krim ausgelöst hatte, umgehen konnte, Die russische Zentralbank, wohlgeübt im Krisenmanagement, unternahm im Februar und März entscheidende Schritte, das Finanzsystem zu stützen. Ihre Zinserhöhung half, einen Bankrun zu verhindern, weil sich auf diesem Wege die Inflation wieder etwas beruhigte.

Weafer meint, das Jahrzehnt der Sanktionen seit der Krim-Annexion, habe Russlands Banken einer Art konstantem Stresstest unterzogen und das Land sei unabhängiger in den Schlüsselindustrien und der Lebensmittelproduktion geworden.

Paralleler Handel

Ein weiterer Grund für die gewachsene Widerstandsfähigkeit liegt in der Stärkung des Handels mit Indien und China. Der Handel zwischen diesen Ländern ist geradezu aufgeblüht. Außerdem profitiert Russland von sogenannten ‘Parallel-Importen’. Dabei gelangen westliche Güter auf Umwegen über Indien oder China und anderen zentralasiatischen Ländern

Vacroux hält China für den “großen Gewinner” dieses Spiels, denn während der Handel Pekings mit Moskau blüht, wächst auch Russlands Abhängigkeit vom China.

“China ist nicht wirklich an Russland interessiert”, resümiert sie. “das Russland-Geschäft macht nur drei Prozent des chinesischen Handels aus. Aber für den Kreml ist China umso wichtiger geworden. Und das ist gut für uns: Denn wenn Peking zu Putin sagt: ‘Du darfst keine Nuklearwaffen im Ukrainekrieg einsetzen, also tu es auch nicht!’ – dann muss Putin jetzt tatsächlich genau zuhören.”

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Kommt jetzt der Wandel?

Vorhersagen für die Entwicklung der russischen Wirtschaft sind nicht eindeutig. Der Internationale Währungsfonds erwartet ein leichtes Wachstum vom 0,3 Prozent, während andere Experten einen Rückgang der Wirtschaftskraft von ungefähr zwei Prozent vorhersagen.

Europa ist es in den vergangenen zwölf Monate gelungen, sich weitgehend aus der Abhängigkeit von russischen Energie-Importen zu befreien. Doch noch gibt es keine Hinweise, dass der im Dezember beschlossene Ölpreisdeckel für das schwarze Gold aus Russland funktioniert. Die Zeitschrift The Economist berichtet, dass die russischen Ölexporte auf hohem Niveau weiterlaufen – dank der Nachfrage aus Indien und China, allerdings zu niedrigeren Preisen.

Weafer glaubt, dass die neuen EU-Sanktionen, die am 5. Februar eingeführt wurden und auf Diesel und verwandte Produkte zielen, ein Schlüsselmoment sein könnten. “Es gibt ein sehr, sehr großes Fragezeichen hinter der Frage, wie viel Geld Moskau noch mit dem Export und der Raffinerie von fossilen Brennstoffen in diesem Jahr verdienen wird”, sagt Chris Weafer. “Es wird auf jeden Fall deutlich weniger sein als noch 2022. Das ist mal sicher.”

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.