Erdbeben: Syrien und Türkei erhalten Hilfe aus der EU

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EU-Zentrums für Zivilschutz sitzen in einem Bürogebäude der EU-Kommission vor großen Monitoren und Landkarten. In diesem kleinen Saal läuft alles zusammen – welche Hilfe wird gebraucht und welche Angebote können die 27 EU-Mitgliedsstaaten und acht weiteren europäischen Staaten machen? Seit Tagen wird hier vor allem Hilfe für die Erdbebenopfer in der Türkei koordiniert. Zuvor war die Unterstützung für die Ukraine, die von Russland angegriffen wird, die größte Aufgabe.

EU-Kommissar Janez Lenarcic im EU-Zentrum für Zivilschutz in Brüssel

EU-Kommissar Janez Lenarcic im EU-Zentrum für Zivilschutz in Brüssel (Archiv)

36 Rettungsteams auf dem Weg

Jetzt werden die Anforderungen der Behörden und Hilfsorganisationen aus der Türkei gesammelt und die Angebote aus den am Zivilschutz beteiligten Staaten aufgenommen. Die Mitarbeiter in Brüssel starten gezielte Anfragen an verschiedene Hilfsorganisationen, Feuerwehren, Polizei oder Armeekräfte in den Mitgliedsstaaten, um Einsätze zu ermöglichen.

Inzwischen haben 20 EU-Mitgliedsstaaten und drei weitere europäische Teilnehmer-Staaten 36 Such- und Rettungsteams zur Verfügung gestellt. Das sind rund 1500 Personen und 100 Such- und Spürhunde. Etwa die Hälfte dieser Kräfte ist nach Angaben der Europäischen Zivilschutzeinrichtung in der Türkei im Erdbebengebiet eingetroffen.

Ein Mädchen und mehrere Frauen vor zerstörten Häusern im türkischen Kahramanmaras

Obdachlose in Kahramanmaras, Türkei: Die EU schickt Suchteams und bald auch Zelte

Das Wichtigste sei die gezielte Koordination mit der türkischen Einsatzleitung und Helfern aus anderen Regionen der Welt, sagte der EU-Kommissar für Katastrophenhilfe, Janez Lenarcic, am Mittwoch in Brüssel. Die Zahl der Hilfsangebote steige stündlich an, denn auch das Ausmaß der Katastrophe in der Türkei und Syrien werde immer größer. Inzwischen gehen die Behörden in der Türkei von mindesten 8500 Toten aus, mehr als 2600 Tote wurden aus Syrien gemeldet. Zehntausende Menschen wurden verletzt. Die EU-Kommission hat ein eigenes Koordinationsteam in der Türkei stationiert, das mit den Behörden, Flughäfen, Logistikanbietern und Hilfsorganisationen vor Ort zusammenarbeitet.

Syrien bittet EU ebenfalls um Hilfe

Nach einigem Zögern hat auch das Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad beim EU-Zivilschutzzentrum offiziell um Hilfe gebeten, gab EU-Kommissar Lenarcic bekannt. “Die Liste der Hilfsleistungen, die Syrien braucht, ist sehr lang.” Sie reiche von Such- und Rettungskräften, über medizinisches Gerät bis hin zu Lebensmittellieferungen. “Wir ermuntern die EU-Mitgliedsstaaten, auch hier schnell zu liefern”, versicherte der EU-Kommissar.

Ein junger Mann hält den Körper eines Kindes in einer Decke gehüllt

Bergungsarbeiten im syrischen Aleppo: Zivilschutz der EU ist politisch neutral

Der Regierung Syriens, die wegen des Bürgerkrieges im Lande seit Jahren mit EU-Sanktionen belegt ist, werde in der Notlage geholfen, meinten EU-Diplomaten. Der Zivilschutz der EU sei unparteiisch und frage in der Katastrophe nicht nach Politik.

Wie allerdings die besonders vom Erdbeben getroffenen Rebellengebiete im Nordwesten Syriens mit Hilfsgüter versorgt werden können, ist ungewiss. Die Vereinten Nationen weisen daraufhin, dass die Straßen zum einzigen für humanitäre Hilfe offenen Grenzübergang  Bab-al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien durch das Erdbeben stark beschädigt worden seien. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) spricht von vier Millionen syrischen Flüchtlingen, die beiderseits der Grenze schon vor dem Beben auf Lebensmittellieferungen angewiesen waren.

EU-Sanktionen behindern Hilfe nicht

Der EU-Kommissar für Katastrophenhilfe sicherte zu, dass von Hilfslieferungen der EU nur die Menschen in Syrien, nicht aber das Regime profitieren solle. “Wir werden das sehr genau beobachten.” Den Vorwurf aus Syrien, die internationalen Sanktionen verhinderten Hilfe für die Erdbebenopfer, wies Lenarcic in der Antwort auf eine Frage der DW entschieden zurück. “Es gibt nichts, was die Lieferung von Hilfsgütern irgendwie behindern könnte”, sagte Lenarcic.

 EU-Kommissar Janez Lenarcic am Grenzübergang Bab al-Hawa im Gespräch mit Hilfsorganisationen

EU-Zivilschutzkommissar Janez Lenarcic am Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien im April 2021

Die Sanktionen richteten sich gegen das Vermögen und die Reisetätigkeit von Mitgliedern des Regimes, gegen Firmen, die am Krieg verdienten, und gegen den Import von Ausrüstung, die zur Unterdrückung der Menschen eingesetzt werden könne. Dabei geht es um Polizeiausrüstung und Anlagen zur Überwachung von Telekommunikation. Außerdem hat die Europäische Union die Einfuhr von Öl aus Syrien verboten sowie den Kauf von syrischen Staatsanleihen untersagt.

Nächste Stufe: Zelte und Heizung

Inzwischen bereitet sich die Türkei auf die zweite Phase der Katastrophenhilfe nach den unmittelbaren Such- und Rettungsaktionen vor. Bei der EU haben die türkischen Behörden am Mittwochmorgen um die Lieferung von Decken, Zelten, Öfen, Heizgeräten und medizinischem Material gebeten, damit die Zehntausenden von Obdachlosen und Verletzten versorgt werden können. “Das werden wir so schnell wie möglich losschicken”, versprach Lenarcic.

Politische Hindernisse bei Erdbebenhilfe: Gespräch mit Kristin Helberg